
Drehbuch und Regie: Frédéric Hambalek
Deutschland 2025, 86 Minuten, Produktion: Walker + Worm Film / Kleines Fernsehspiel, Verleih: DCM
Cast: Laeni Geiseler (Marielle), Julia Jentsch (Julia), Felix Kramer (Tobias), Mehmet Atesci (Max), Moritz Treuenfels (Dr. Sören Marx)
Ihre Freundin ohrfeigt die vierzehnjährige Marielle und seitdem verfügt sie über die besondere Fähigkeit, alles, was ihre Eltern an anderen Orten, etwa ihren Arbeitsplätzen tun und sagen, mitzubekommen. Sie kann schlicht alles vor ihrem inneren Auge sehen und hören. Das irritiert nicht nur das junge Mädchen, sondern noch viel mehr ihre Eltern, die es sich in ihrem durchorganisierten Leben eigentlich ganz gut eingerichtet haben.
Nun also weiß die Tochter vom geplanten Seitensprung der Mutter oder von den Niederlagen des Vaters in seinem Verlagsjob, die er aber Zuhause in mutige Durchsetzung seiner nicht vorhandenen Autorität umdeutet. Und sie kommuniziert, was sie hört und sieht. Die Wiedergaben des Geschehenen durch die Tochter sind beängstigend genau, es gibt keinen Zweifel, das Mädchen bekommt tatsächlich alles mit.
Ärztliche Untersuchungen führen auch zu nichts, Marielle ist kerngesund. Was es mit einer kleinen Familie macht, wenn die Wahrheit gezwungenermaßen tagtäglich auf den Tisch kommt, wird in dem Film, der mit leisem Humor daherkommt, durchdekliniert. Die interessante Prämisse deckt den alltäglichen laxen Umgang mit der Wahrheit auf. Es gibt immer wieder interessante, glaubwürdige Dialoge und subtil witzige Situationen, welche auch das Eltern-Kind Verhältnis wunderbar hinterfragen,- die Idee und das Drehbuch sind dabei stärker als dessen ästhetisch filmische Umsetzung.
Die Schauspieler Laeni Geiseler (Marielle), Julia Jentsch (Julia) und Felix Kramer (Tobias) in den Hauptrollen, sind alle durchgehend sehr gut in dem, was sie tun, man nimmt ihnen das ab, auch die stets ernste und traurige Marielle (Laeni Geiseler) überzeugt in ihrem Spiel. Genauso seltsam verschlossen sind viele Jugendliche in ihrer Pubertät.

Von der Erzählweise her wirkt der der Film seltsam sachlich, man kommt seinen Protagonisten nicht wirklich nahe. Er handelt das interessante Gedankenspiel rund um die Entfremdung einer Familie ein wenig distanziert ab. Die These des "Was wär wenn" steht sehr im Vordergrund. Die wenigen gewählten Drehorte sind zudem etwas leblos steril, kalte funktionale Büros und ein teures Designerhaus lassen es nicht zu, den handelnden Personen als lebendige, echte Menschen nahe zu kommen. Es wirkt eher wie ein wissenschaftliches Herbarium mit Versuchspuppen. Das war vermutlich eine Grundsatzentscheidung und so gewollt, elegantes und mutiges Erzählen geht anders.
Die Kamera versucht dem etwas entgegenzuwirken, sie kommt dabei häufig leicht unentschlossen daher, manchmal ist sie aus der Hand geführt und wackelt dann seltsam, als wenn das Gerät zu schwer wurde. Auch das Licht geht in diversen Szenen ohne dramaturgischen Grund unnötig schonungslos mit den Gesichtern um. Ab und zu überrascht die Kamera auch positiv mit ungewöhnlicher Kadrage, etwa bei einem Streit in der Tiefgarage des Verlages, für den der Vater arbeitet.
Der Film endet mit einem klugen Schlussbild, verfolgt zweifelsohne inhaltlich ein interessantes Gedankenspiel, doch etwas mehr Emotion hätte dem Film sicher nicht geschadet. Ein interessanter Gedankendiskurs und allemal sehenswert.
Gesehen von Mathias Allary

