Am Anfang war die Nacht
Wer einem Vampir begegnen will, der sollte nicht vor Einbruch der Dunkelheit sein trautes Heim verlassen, denn das ist seit jeher ein unumstößliches Gesetz: Der Vampir ist ein Nachtschattengewächs. Dunkle schlecht-ausgeleuchtete Gassen in Großstädten („Interview mit einem Vampir“, „Die Zärtlichkeit der Wölfe“), verlassene, öde Wüstenlandschaften („Near Dark“, „From Dusk Till Dawn“, „John Carpenter’s Vampire$“), undurchdringbare, einsame Wälder (sämtliche Hammer-Filme) bis hin zu düster-majestätischen Schlössern („Bram Stoker’s Dracula“) und fiebrig-bebenden Nachtclubs („Begierde“, „Blade“), der Vampir fühlt sich überall dort wohl, wo sich der Mensch nie freiwillig, sondern nur in seinen Albtraumschreckensszenarien hinbegibt. Hierbei bestätigen natürlich auch wieder Ausnahmen die Regel, wer verbindet nicht die romantische Vollmondnacht oder das wohlig-warme Karminfeuer mit den dunklen Gefährten der Nacht?
Am Tag schlafen Vampire doch...
Dennoch gibt es einige Beispiele, in denen die Vampire auch bei Tage für Unruhe sorgen. Erwähnenswert wären hier folgende Fälle: Eher unfreiwillig wandeln in Carl Theodor Dreyers expressionistischem Meisterwerk „Vampyr - Der Traum des Allan Gray“(F 1932) die Untoten durch gleißendes Tageslicht. In wahnwitzigen Kameraeinstellungen begleitet von dumpfen Klavierklängen und sehr wenigen Dialogzeilen orientiert sich der Film frei an Sheridan Le Fanus Vampirklassiker „Carmilla“, sozusagen der weiblichen Komponente zu Dracula.
Da die Untoten in der ersten Hälfte des Films nur als Schatten sichtbar durch Häuser, Wälder und über Wiesen huschen, war ein großer Lichteinfall nötig. Bei sämtlichen Außenaufnahmen war es hellichter Tag, obwohl der Film in schwarz-weiß gedreht wurde, ist es an einigen Stellen unübersehbar, dass die Sonne gerade hoch am Himmel steht, wobei es der Handlung nach tief in der Nacht sein soll. Dennoch ist Dreyers märchenhafte Träumerei gerade künstlerisch betrachtet ein absolutes Meisterwerk und sollte den Vergleich zu Murnaus „Nosferatu“ nicht scheuen.
„Blade“
Ein weiteres Beispiel wäre der moderne Actionkracher „Blade“ (USA 1998) von Stephen Norrington, hier dürstet es den Bösewicht Deacon Frost (bravourös gespielt von Stephen Dorff) nach der Herrschaft der Vampire über die Menschheit, die lässt sich allerdings nur verwirklichen, wenn die Nachtschwärmer auch bei Tage auf Beutefang gehen können (Sunblocker und verdunkelte Motoradhelme erfahren hier eine ganz neue Bedeutung). Blade (Wesley Snipes) selbst ist ein Zwitterwesen zwischen Mensch und Vampir und somit befähigt auch bei Tage in Erscheinung zu treten, allerdings hat er sich den Diensten der Menschheit verschrieben und macht mit Stahlpflöcken und Karatekampftechniken Hatz auf seine machtgierigen Halbbrüder und Halbschwestern. Tricktechnisch ist „Blade“ brilliant in Szene gesetzt, und auch die Action-Sequenzen überzeugen durch ein irrsinniges, atemloses Tempo, inhaltlich gerät der Film aber leider hier und da ins Staucheln. Dennoch erfährt der Vampir in diesem Film seine Auferstehung als kompromissloser, düsterer Comicheld, der das Kinopublikum begeisterte. Die Fortsetzung „Blade II“ wird hoffentlich im nächsten Jahr an diesen Erfolg anknüpfen können.
„From Dusk Till Dawn“
Der Kultfilm von Regisseur Robert Rodriguez aus dem Jahr 1996 hauchte dem bereits angestaubten Vampirgenre wieder neues Leben ein. Mit Quentin Tarantino als Drehbuchautor und diversen Hollywoodgrößen in wirklich ungewöhnlichen Rollen schuf man einen Film, der in der Beliebtheitsscala unzähliger Freunde des Vampir- und Horrorfilms noch immer unter den ersten Plätzen rangiert.
Die Brüder Seth (George Clooney) und Richard Gecko (Quentin Tarantino), zwei skrupellose Verbrecher versuchen nach einem spektakulären Bankraub nach Mexiko zu fliehen. Dabei nehmen sie einen ehemaligen Pfarrer (Harvey Keitel) und dessen Kinder (Juliette Lewis & Ernest Liu) als Geiseln um unbemerkt über die Grenze zu kommen, was ihnen auch tatsächlich gelingt. Doch dann nimmt ihre Flucht ein unerwartetes Ende, als sie sich mitten in der Wüste eine Nacht imTitty Twister um die Ohren schlagen müssen. Denn die zwielichtige Spelunke, in der Ströme von Alkohol fließen und halbnackte Schönheiten auf den Tischen tanzen, ist der Wohnsitz einer hungrigen Vampirsippe, die ihr Etablissement benutzt um unvorsichtige Biker und Trucker abzuschlachten. In die Falle gelaufen, kämpfen nun die Geiseln mit den Gecko Brüdern und einigen anderen Gästen zusammen ums nackte Überleben.
Ein Film der definitiv nichts für zartbesaitete Gemüter ist. Wird zu Anfang des Films "nur" ein wenig geschossen und hie und da mal ein Fausthieb ausgeteilt, fliegen gegen Ende richtig die Fetzen. Wenn die höllische Vampirbrut ihre Maskerade aufgibt und ihre ahnungslosen Opfer regelrecht zerreißt, spritzt das Blut in alle Ecken und die abgetrennten Gliedmaßen fliegen nur so durch die Lüfte. Was ihn allerdings stilistisch interessant macht, ist die Tatsache, das der Film bis zur Hälfte keine einziges Wort über Vampire verliert, ja nicht einmal eine kleine Andeutung auf das Übernatürliche macht. Für den Zuschauer kommen die Blutsauger quasi ebenso überraschend wie für die Protagonisten. Ein brutales Vampirspektakel, das unter Horrorfilmen noch immer seinesgleichen sucht. Die beiden Prequels "Texas Blood Money" (1999) und "The Hangmans's Daughter" (2000) konnten ihrem Vorgänger nicht mehr das Wasser reichen.
„The Reflecting Skin“
Das letzte Beispiel, auf das hier eingegangen werden soll, ist Philip Ridleys „Schrei in der Stille – Reflecting Skin“ (USA 1990). Der Junge Seth Dove (Jeremy Cooper) lauscht voller Spannung den Vampirgeschichten seines Vaters. Schon bald beginnt er die junge Witwe Dolphin Blue (traurig-schön: Lindsay Duncan) zu verdächtigen, ihrem Mann das Leben entzogen zu haben. Er findet in ihrem Haus eine Schatulle mit Haaren und ein Fläschchen mit Schweiß des Verstorbenen. Als sein Bruder Cameron (Viggo Mortensen) aus dem Krieg zurückkommt und der tragischen Schönen mit Haut und Haar verfällt, beschließt Seth ihrem Treiben ein Ende zu setzen...
Wenn man beim Anblick von wogenden Roggenfeldern in strahlendem Sonnenschein den Hauch des Todes spürt, so liegt das an Ridleys bedrückender und doch unsagbar schönen Bilderflut. Das Grauen geschieht wirklich, findet seine Manifestation in krassen Bildern, so wird ein riesiger Ochsenfrosch von Seth mit einem Strohhalm aufgeblasen und zerplatzt, oder Seths Vater, Besitzer einer Tankstelle, übergießt sich mit Benzin, trinkt es sogar literweise und setzt sich schließlich vor den Augen seines fassungslosen Sohnes in Brand, allerdings kommen die Vampire nur in Seths verzweifelter Phantasie zum Vorschein.
Das Motiv der ländlichen Idylle, des Nicht-Eingestehen-Wollens der Protagonisten, dass sie sich auf einen Abgrund zu bewegen, wird jedoch gerade in den altmodischen Vampirfilmen häufig aufgegriffen. Ridleys schonungsloses Psychodrama sei all jenen ans Herz gelegt, die die Schönheit der Grausamkeit ertragen können.
(Zeichnungen: Mark Zaschka)