
Richtung und Wahrheit
Besonders in Zusammenhang mit Mikrofonen halten sich Wahrheiten und Halbwahrheiten in einem Schwebezustand. Viele Behauptungen sind unzutreffend und manche dieser falschen Behauptungen kosten viel unnötiges Geld oder erzeugen überflüssige Fehler. Diverse Behauptungen haben eher mit dem individuellen Höreindruck, Geschmack oder Placebo-Effekten zu tun, die von den Herstellern auch gerne durch gezielte Werbung ein wenig gefördert werden. Räumen wir doch mal ein wenig mit den größten Fehlgerüchten und Behauptungen auf.
Empfindlichkeit ist Alles
- Behauptung: Hohe Empfindlichkeit = bessere Aufnahme
Unsinn! Viele Menschen verwechseln Empfindlichkeit mit Qualität. Ein sehr empfindliches Mikrofon fängt auch Störgeräusche (Straßenlärm, Klimaanlagen, Nebengeräusche) ein. Manchmal ist ein Mikrofon mit geringerer Empfindlichkeit die bessere Wahl. So etwa ein Lavalier, was für die laute Stimme direkt am Brustkorb empfindlich genug ist, vieles aus dem Raum aber ausblendet.
Großmembran Mikrofone
- Behauptung: Die Riesenteile, vor denen die Popstars in ihren Videoclips eine „Studioaufnahme“ einspielen können tiefe Frequenzen viel besser aufnehmen als kleinere Mikrofone.
Unsinn! Wichtig ist die Kugelcharakteristik, nicht die Bauform des Mikrofons. Auch winzige Mikrofone können, wenn sie denn Kugelcharakteristik haben, ganz präzise tiefe Frequenzen aufnehmen. Aber es ist ein wenig wie mit den fetten Autos, so ein optisch beeindruckendes Großmembran-Mikrofon macht einfach visuell mehr her. Außerdem neigen die Großmembran-Mikrofone aufgrund ihrer Bauweise zu gewissen Fehlern, d. h. Klangverfärbungen, die ihnen eine Verfremdung der realen Frequenzen, von manchen auch als „Sound“ empfunden, geben. Größe ist nicht identisch mit Qualität, Großmembran-Mikros sehen meist beeindruckend aus und gelten oft als „besser“. Aber: Kleine Membranen liefern häufig natürlichere Transienten und einen breiteren Frequenzgang.
Fazit: Es muss also nicht unbedingt so ein Luxus-Großmembran-Teil sein, ein gutes Mikrofon mit Kugelcharakteristik oder Nierencharakteristik liefert ähnliche oder sogar bessere Klangqualität! Wichtig ist zudem die optimale Positionierung.

Rohr-Richtmikros
- Behauptung: Shotguns, in vollmundigen Werbeprospekten auch gerne Tele-Mikros genannt, holen entfernte Töne näher ran.
Unsinn! Der Schall (Sprache, Musik etc.), der aus einer bestimmten Entfernung auf ein Richtmikro auftrifft, wird von diesem mit der gleichen Intensität aufgenommen, wie von einem Mikro mit Kugelcharakteristik. Es ist nicht wie bei einem Teleobjektiv, dass der entfernte Schall näher rangeholt würde. Die Wirkungsweise der Richtmikros unterdrückt lediglich den Schall aus anderen Richtungen, sodass andere Signale, Störgeräusche von hinten oder den Seiten schwächer aufgezeichnet werden.
Also: Bei Aufnahmen am Drehort nicht meinen, man könne mit dem Richtmikro größeren Abstand von den Schauspielern halten. Bitte nicht glauben, ein teureres Richtmikro könne Wunder wirken! Lediglich die Seitendämpfung kann je nach Qualität differieren und ist bei modernen Mikrofonen, die digital die seitlich auftreffenden Signale herausrechnen, besonders hoch.
Fazit: Das größte Wunder lautet: Immer so nahe wie möglich ran und sauber angeln!
- Behauptung: Richtmikros sind immer die beste Lösung für Filmton
Blödsinn! Richtmikrofone (Shotgun) sind sehr gut bei Entfernung, aber sie klingen in Innenräumen oft unnatürlich (Kammfiltereffekte durch Reflektionen). In kleinen Räumen klingen Mikrofone mit Nierencharistik möglicherweise natürlicher.
Fazit: Die Richtwirkung beeinflusst auch den Klang und manchmal ist eine Niere am Filmset besser als eine Keule

Kondensator Mikrofone vs. Dynamische Mikrofone
- Behauptung: Kondensator Mikrofone sind grundsätzlich besser als dynamische Mikrofone
Unsinn! Stimmt nicht ! Es kommt auf den Einsatzzweck an. Kondensatormikrofonme sind empfindlicher und der Klang ist vielleicht detaillierter, aber dynamische Mikrofone haben Vorteile. Sie sind robuster, resistenter gegen Rückkopplung (auf Bühnen) halten auch hohe Geräuschpegel spielend aus, haben weniger Probleme mit Kälte oder Feuchtigkeit. Nachteil- man kann mit ihnen keine empfindlichen Richtmikrofone oder Lavaliers bauen.
Fazit: Es kommt auf den Einsatzzweck an, mal sind die Kondensator-Mikes überlegen und in anderen Fällen die dynamischen Mikes.
Phantomspeisung vs. Tonader
- Behauptung: Phantomspeisung ist besser als 12-Volt-Tonaderspeisung!
Unsinn! Beide Verfahren haben Vor- und Nachteile.
Tonadergespeiste Mikros kann man problemlos an einen unsymmetrischen Eingang anschließen. Außerdem wird weniger Strom verbraucht, da die meisten portablen Mischpulte, Videorekorder, Tonbandgeräte, DAT oder Flash-Rekorder mit ca. 12 Volt Akkuspannung betrieben werden, kann man damit problemlos das Tonadermikro versorgen. Wichtiger Nachteil: Betreibt man sie versehentlich statt mit T12 mit 48P-Phantomspeisung, können sie zerstört werden. Also immer vorher genau prüfen, in welcher Stellung die Stromversorgungswahlschalter stehen. Da man das selbst zuverlässig tut, Andere aber vielleicht nicht, sollte man für den Verleih aus diesem Grunde eher keine Tonader-Mikrofone wählen.
Für 48-Volt-Phantomspeisung muss erst durch einen Spannungswandler alles auf 48 Volt gewandelt werden, wobei viel unnötige Energie verloren geht. Phantomspeisung ist sehr empfindlich bei nachlassendem Strom. Darunter leiden die Aussteuerbarkeit und der Klang. Bei Versorgung über ein Netzteil muss die Siebung, das heißt der elektronische Schaltungsaufwand, nicht so groß sein wie bei Tonaderspeisung.
Dynamische Mikros (=Mikros ohne Phantom- oder Tonaderspeisung) lassen sich problemloser an einen phantomgespeisten Eingang anschließen (bei Tonaderspeisung muss man in diesem Fall die Stromversorgung abstellen können.)
Fazit: Auch wenn Tonaderspeisung bei den neuesten Geräten nicht mehr anzutreffen ist, sie ist genauso gut wie Phantomspeisung. Was bedeutet dies für unseren Geldbeutel? Man kann sorglos Mikrofone mit Tonaderspeisung gebraucht (und günstiger als phantomgespeiste) kaufen. Für die Stromversorgung gibt es Batterieteile oder Adapter von Phantom- auf Tonaderspeisung.
Neu vs. Alt
In eine ähnlich Richtung wie der vorherige Streitpunkt geht der Vergleich zwischen älteren und neuen Mikrofonen.
- Behauptung: Alte Mikrofone klingen schlechter als neue
Unsinn! Klassiker wie das Neumann U47, AKG C12 oder Shure SM7B oder das Sennheiser MKH 416 sind je nach Ausführung Jahrzehnte alt und gelten trotzdem heute noch als Referenz. Das Denken: „alt = technisch überholt“ – ist oft falsch, alt bedeutet oft höhere Fertigungsqualität und in Bezug auf Klang in Wirklichkeit reicheren, hochwertigeren Sound. Man muss ich das in jedem Fall individuell anschauen und vor allem anhören.
Fazit: Manche alten Mikrofone sind legendär und extrem langlebig. Sie stecken fast jedes moderne Mikrofon in die Tasche...

Korbwindschutz
- Behauptung: Je kleiner, desto feiner!
Unsinn! Nicht nur die aerodynamische Außenform des Korbes, sondern auch die Menge der im Korb eingeschlossenen Luft, die um das Mikrofon herum ist, spielen eine wichtige Rolle. Jeder Korbwindschutz verschlechtert den Frequenzgang und die Richtwirkung! Bei einem großen Korb sind die Nebenwirkungen geringer als bei einem kleinen Korb. Damit erklärt es sich vielleicht auch, warum diese Dinger meist so unförmig und groß sind! Es gibt sogar welche, die riesig groß sind und dadurch besonders unempfindlich gegen Wind.
Fazit: Beim Korbwindschutz sollte man nicht am falschen Ende sparen. Die Profi-Windscreens lohnen sich in jedem Fall. Versuche, so etwas selbst zu bauen, scheitern nicht nur an der Materialverarbeitung, sondern auch am fehlenden geräuschlosen Windkanal, um Form und Größe zu optimieren!

