Socializing
Regie führen zu können, bedeutet in der professionellen Welt in der Regel auch Menschen finden, die einen für diese Tätigkeit haben wollen, diesen Job finanzieren. Arbeit bekommen Regisseure allerdings nie von der Bundesagentur für Arbeit (früher kurz: Arbeitsamt genannt), sondern dadurch, dass ihre Arbeiten oder sie selbst überzeugen.
Bedauerlicherweise verläuft die Vergabe von Regieaufträgen nur selten nach dem Prinzip, dass die Fähigsten auch den Job bekommen. Ähnlich verhält es sich mit der Besetzung von Fernsehspielen oder der Vergabe von Produktionsaufträgen.
Empfänge der Fernsehsender, etwa am Rande von Filmfestivals, werden daher von nicht Wenigen als Agenturen für Arbeit der anderen Art betrachtet. Ein Plädoyer zum Schutze einer verfolgten Spezies...
Gespannte Entspannung
Auf den Empfängen herrscht nicht nur dichtes Gedränge sondern bei Manchen äußerlich gelöste und innerlich höchst gespannte Atmosphäre. Der dichte Dschungel aus zahllosen, herumstehenden Menschen teilt sich neben den tatsächlich entspannten Gästen (die gibt es nämlich auch) vor allem auf in Jäger und Gejagte…
Überall sind Regisseure, Schauspieler, Produzenten unterwegs, um mal kurz einen Smalltalk mit Fernseh-Redakteuren zu halten … ihr brandneues, umwerfendes Projekt… tanzende Pinguine…eine völlig neue Doku Soap über KFZ-Monteure… dieses Reality-Konzept wo sich die Einkäufer in Mailand die Finger geleckt haben, dass man aber wegen der Genialität unbedingt in Deutschland lassen möchte…
Da wäre auch noch diese einmalige Geschichte von dem gehörlosen DJ und jene mit dem Stasi-Offizier, der damals den Internet-Auftritt des Pentagon hacken sollte, die Trilogie über das Brutverhalten der Kohlmeisen, der erotische Splatterfilm mit Promibesetzung…
Lauerstellung
Redakteure sind beliebt, umschwärmt, umlächelt. Dass sie häufig gar keine Projekte mehr vergeben können, oder nur an Tochterfirmen ihrer eigenen Sender vergeben dürfen, sagen sie bestenfalls langjährigen Vertrauten. Alle Anderen bleiben in dem Glauben, es bestünde die Aussicht, die vage Möglichkeit, man bräuchte nur vielleicht die Geschichte noch minimal zu optimieren, vielleicht die Besetzung noch prominenter zu gestalten, vielleicht einfach nur ein ganz anderes Thema zu wählen…
Natürlich sind Redakteure umlagert von zahlreichen Gesprächspartnern. Konkret sind da einmal diejenigen, die im Gespräch sind und die hartnäckig versuchen, die Aufmerksamkeit auf ihrer Peron und ihrem Projekt zu halten, sowie all die Anderen, die wie zufällig im unmittelbaren Umfeld scheinbar in wichtige Gespräche vertieft sind, tatsächlich aber auf den großen Moment warten, in dem sich die Erstgenannten eine Schwäche erlauben.
Da gibt es zahllose Kontrollblicke, Umpositionierungen um günstigere Startpositionen zu erringen, das Abschirmen weiterer potentieller Interessenten. Selbst durch langjährige Freunde wird jetzt hindurch geschaut, als wären sie transparent, bloß nicht jetzt, wo man so nah an seinem Ziel ist, in ein Gespräch über alte Zeiten verwickelt werden. Aufpassen und wie ein Leopard im Hinterhalt sprungbereit sein, lautet die aktuelle Devise.
Zugriff
Ein unachtsamer Moment, eine Konzentrationsschwäche, eine Lücke im Gespräch und schon wandert der Blick des Redakteurs zu dem Wartenden, der sich dazwischen drängt, begrüßt, noch schöner lächelt, ja vielleicht sogar umarmt oder die "Bis" macht (Bisou linke Wange, Bisou Rechte Wange).
Ab sofort gelten neue Spielregeln: Die bisherigen Gesprächspartner drohen jeden Moment in einen Abgrund, in ein Nichts abzustürzen. Jetzt nur die Kurve kriegen, signalisieren, dass man nicht mehr Zeit erübrigen kann, aber bald anrufen wird, und dann nichts wie weg vom Ort der Niederlage…Wann nur werden die armen Redakteure als verfolgte Art endlich unter Naturschutz gestellt?
Weitere natürliche F(r)einde
Derweil werden die Schaupieler-innen von ihren Agent-inn-en, die besser auseinanderhalten können, wer wer ist, zu den Redakteuren geschickt, erschöpft schon von den vorherigen Events, und doch heldenhaft dauerlächelnd. Ab und an ein genussvolles Bad im Headlight einer Videokamera oder dem Blitzlichtgewitter einiger Fotografen. Es ist wie bei der Radarkontrolle im Straßenverkehr- ohne Beweisfotos hat es den Empfang nie gegeben.
Fleißige Journalisten versuchen rasch mitzuschreiben, wer wer wohl war, da wird arrangiert, geschoben, herbei gewunken, wer macht sich wohl am Besten mit wem auf dem Foto, wer will auf keinen Fall mit wem gesehen werden?
Irgendwann, wenn die Meute sich langsam zu den nächsten Empfängen verschiebt, kommen die Redakteure vielleicht noch dazu, ein paar Worte mit denen zu wechseln, mit denen sie eigentlich gerne sprechen möchten. Jene, die ungewöhnlicherweise gar nichts von ihnen wollen.
Dass praktisch alle, die ihre genialen Projekte, Ideen und Konzepte hier anbringen konnten, im besten Fall auf Interesse, aber nicht auf eine reale Produktionschance gestoßen sind, ahnen die Meisten vielleicht noch nicht. Immerhin waren die Häppchen fein…