
Im Jahr 1980 dürfte die Schauspielerin Betsy Palmer wohl mehr Post bekommen haben als ihr wahrscheinlich lieb gewesen sein dürfte. Nachdem sie eine Autopanne auf dem Weg nach Connecticut erlitten hatte, brauchte Palmer kurzfristig Geld für einen Neuwagen. Ein 10-Tage-Job in einem Feriencamp brachte die benötigte Summe – und Palmer jede Menge Post ins Haus. Die Schauspielerin war nämlich Teil der Dreharbeiten für den Erstling eines der bekanntesten Horror-Franchises aller Zeiten: Freitag der 13. Der günstige Slasher mit Jason in der Hockeymaske (der im ersten Teil noch gar nicht in seiner ikonischen Gestalt vorkam) war über Nacht zu einem Kassenschlager geworden – und zu einem der polarisierendsten Filme seiner Zeit, der den berühmten Filmkritiker Gene Siskel dazu animierte, Palmers Adresse in seiner Kritik zu veröffentlichen, Regisseur Sean Cunningham zu diffamieren und zugleich das Ende des Films zu spoilern – damit niemand auf die Idee käme, das schändliche Werk im Kino anzusehen. Doch trotz oder vielleicht sogar wegen der vehementen Kritik wurde Freitag der 13. zu einem massiven Hit und Franchise.
Denkt doch nur einer mal an die Kinder!
Schon Alfred Hitchcocks Schwarzweißthriller„Psycho“ (1960) diente als Blaupause für eines der kontroversesten Sub-Genres des Horrors: den Slasher. Dieser war schon in den frühen 70ern ein beliebtes Sujet zahlreicher B-Filme (ein Genre, in welchem sich der legendäre Roger Corman bewegte) und wurde schließlich mit den Erfolgen von Tobe Hoopers „Texas Chainsaw Massacre“ (1974), der sich wiederum auf die Ed Geyn Verbrechen bezog und John Carpenters „Halloween“ (1978) zu einem Hollywood-Trend, der Filmen wie eben „Freitag der 13.“ oder auch Wes Cravens „A Nightmare on Elm Street“ (1984) den Weg ebnete. Sie alle versetzten Kinogänger – und Elternverbände, Politiker und selbsternannte Hüter der Moral in Angst und Schrecken. Denn die Filme markierten einen Umbruch und puschten die Limits des Zeigbaren – in einer rasanten Geschwindigkeit. Noch bis 1960 war es durch den Hayes-Code verpönt, Toiletten in Filmen zu zeigen. Als dies 1930 der französische Filmemacher Luis Bunel in seiner Satire „L’age d’or“ doch tat, löste er einen handfesten Skandal aus. Erst „Psycho“ wagte es, sich dem Hayes-Code zu widersetzen. Neben dem kulturellen Generationskonflikt und der Besorgnis um drastischere Filminhalte kam aber noch eine weitere Angst auf: Die Satanic-Panic. Diese erreichte in den 80ern ihren Höhepunkt und offizielle Bezeichnung als der umstrittene Psychologie-Bestseller „Michelle remembers“ veröffentlicht wurde, in welchem sich die titelgebende Michelle Pazder – zugleich Ehefrau des Autors – in Therapiesitzungen an satanische Rituale erinnern konnte.
Das Phänomen der Satanic-Panic stand in den USA dabei in einer wechselseitigen Beziehung zur Popkultur. Ihre Ursprünge werden vor allen Dingen dem Aufkommen verschiedener religiöser und semi-religiöser oder auch satanischer Gruppen und Kulte in den 60ern zugeordnet. Etwa der Church of Satan oder der Manson-Family. Das beeinflusste wiederum die Literatur und Filme wie etwa Roman Polanskis nur mit einer Brennweite gedrehte „Rosemary’s Baby“ (1968), William Friedkins „The Exorcist“ (1973) oder den Gregory-Peck-Klassiker „Das Omen“ (1976), die zugleich das Horrorgenre pushten und die Diskussionen weiter anheizten. Insbesondere „The Exorcist“ veränderte die Wahrnehmung und Ästhetik des Horrors und löste – nicht zuletzt wegen seiner Thematik – starke mediale und religiöse Debatten, auch um das Thema Zensur, aus. Die Zahl der tatsächlichen Fälle satanisch motivierter Verbrechen war dabei sehr gering ausgefallen – die Berichterstattung jedoch riesig und alsbald diente das Thema als Bühne (mitunter vermeintlich) moralischer Diskussionen und natürlich auch als Möglichkeit, um Geld zu verdienen.
Satanische Filme
Während (Horror-)Filme eher generell moralische Grabenkämpfe auslösten, geriet vor allen Dingen Musik ins Visier der medialen Aufmerksamkeit rund um die Angst vor dem Okkulten – was prompt zu einigen 80er-Jahre-Hair-Metal B- und Trash-Horrorfilmen führte und Sängern wie Jon Mikl Thor eine Schauspielkarriere ermöglichte. Auch Spiele rückten in dieser Zeit in den Fokus christlich-konservativer Gruppen. Der Pen&Paper-Urvater „Dungeons & Dragons“ wurde für seine Darstellung von Hexerei, Okkultismus und Gewalt zur Zielscheibe. Zahlreiche Gerüchte, etwa um die psychologische Wirkung des Brettspiels, verschärften die Diskussion, aber brachte dem Spiel auch eine Menge Popularität. Das führte so weit, dass basierend auf einer reißerischen Novelle der Autorin Rona Jaffe ein TV-Film mit dem Titel „Mazes and Monsters“ entstand, in welchem ein Fan des Spiels zunehmend Probleme bekommt, zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden. Die erste Titelrolle eines noch unbekannten Tom Hanks.
In den USA war die Angst vor dem Horror und assoziierten Medien eher ein aufgebauschtes Phänomen – von dem viele Produktionen profitierten. Ende der 80er kam die Satanic Panic langsam zum Erliegen – auch weil sich die Presse zunehmend gegen die Gesamt-Bewegung wandten. Das hing auch mit öffentlich vielbeachteten Fällen – etwa um den Vorschuldirektor Ray Buckey, der als McMartin-Fall für Schlagzeilen und eine Neubewertung des Themas sorgte. Der Prozess wurde 1987 mit James Woods in der Hauptrolle unter dem Titel „Indictment: The McMartin-Trial“ verfilmt.
Auch in andere Länder schwappte die Satanic Panic über. Der Film „Lords of Chaos” (USA/Norwegen, 2019) von Jonas Akerlund behandelt etwa die reale Geschichte der norwegischen Metal-Band Mayhem, die in den 80ern Norwegen in Angst und Schrecken versetzte. Auch in England ging die Angst um – und das Land hatte seine eigenen McMartin-Prozesse. Hier wurde der Kampf gegen den Horror jedoch zu einer vehementen Staatssache.

Grauzone Videotape
Bis 1983 war der britische Videomarkt eine Grauzone, in der Filme ohne Alterskennung oder sonstige Regulationen verkauft werden konnten. Die Aktivistin Mary Whitehouse ging dagegen mit ihrer Organisation National Viewers‘ and Listener’s Association (NVALA) vor. Whitehouse kritisierte, dass der britische Kino- und Video-Markt, aber auch die TV-Landschaft nicht den (eigenen) moralischen Tugenden entsprach. Das Anliegen, Kinder- und Jugendliche durch Altersbeschränkungen vor nicht altersgemäßen Inhalten zu schützen, mag verständlich gewesen sein – auch ihr Kampf gegen Kinderpornografie ist zu würdigen. Whitehouse reichte das jedoch nicht, denn sie wollte eine, nach ihren Ansichten, vollkommen tugendhafte Medienlandschaft – in der auch Kriegsberichterstattung und Homosexualität keine Beachtung finden sollten. Diesen Kreuzzug gegen „Unsittlichkeit“ im Vereinigten Königreich startete die Aktivistin bereits in den 1960er Jahren – die damalige britische Regierung verlor jedoch regelmäßig die zahlreichen Schreiben der Moralhüterin, um nicht antworten zu müssen. Mit der Thatcher-Ära fand Whitehouse jedoch Gehör - zugleich der Beginn der „Video Nasty“-Ära.
Insbesondere Sam Raimi’s Kultklassiker von 1981 „The Evil Dead“ diente Whitehouse in dieser Zeit für einen breiten Verbotsvorstoß, den die Politik durch den 1984 Video Recordings Act ermöglichte. Dieser setzte Voraus, dass jeder Film vom British Board of Film Classification nach strengen Richtlinien geprüft werden musste. Über 72 Filme wanderten im Laufe der 80er auf die Blacklist. Einige jedoch nur temporär. Heute sind noch 10 „Video Nasties“ in Großbritannien verboten. Neben Verboten wurden viele Filme auch in unterschiedlich stark gekürzten Fassungen freigegeben – bei vielen erfolgte in den 2000ern eine Neubewertung, die oft mit der Freigabe der ungeschnittenen Versionen einhergingen. Auch in Großbritannien wurden viele der „Video Nasties“ erst durch ihr Label populär – und heimlich unter so mancher Ladentheke verkauft. Die „Video Nasty“-Ära wurde selbst wiederum Gegenstand mehrerer Horrorfilme, darunter die 2021 erschienene, britische Produktion der Regisseurin Prano Bailey-Bond, „Censor“.
Zensurbehörden
Auch in Deutschland wurden in den 80ern zahlreiche Filme beschlagnahmt oder gekürzt. Während beispielsweise „Texas Chainsaw Massacre“ 2011 vom Index genommen und ungekürzt ab 18 Jahren freigegeben wurde, sind manche Filme bis heute beschlagnahmt. Darunter George Romeros sehenswerter Zombiefilm „Day of the Dead“ von 1985. Arte strahlte den Film 2022 in der unzensierten Originalfassung aus, was zu einer Ermittlung der Staatsanwaltschaft Baden-Baden führte, die jedoch wieder eingestellt wurden.
Angesichts der Tatsache, dass ab dem Erfolg von James Wans Folter-Horror „Saw“ oder dem hierzulande ungekürzten Goreshocker „Hostel“ von 2005 deutlich härtere (und auch anspruchslosere) Kost zugänglich ist – die auch im TV läuft – stellt sich natürlich die Frage, ob nicht einige Neubewertungen nötig wären. Prinzipiell hat die FSK ja schon für einige Debatten rund um die Freigabe gesorgt – das ist aber ein anderes Thema.
Während Horror-Filme also immer weiter die Grenzen ausloten und sich im Mainstream breitmachen konnten, wandte sich die mediale Aufmerksamkeit einem neuen gesellschaftlichen „Problemthema“ zu: Videospielen. Deren Verfilmungen waren insbesondere in den 90ern und und 2000ern der blanke Horror…aber eher aus Gründen, die für einen anderen Artikel geeignet sind. Jede Zeit hat nun mal ihre (wörtlichen) Schreckgespenster, die die Jugend ruinieren – diesmal ganz bestimmt. Insgesamt bleibt am Ende die Erkenntnis, dass der Horror seit jeher eine spezielle Faszination ausübt, die vom Zeitgeist beeinflusst wird und diesen durch seine Wirkung, Ikonographien und Kontroversen selbst verändern kann. Und so mag man mitunter verwundert auf die Diskurse jener Zeit zurückblicken - sie vielleicht sogar angesichts mancher Auswüchse der Neuzeit vermissen...insbesondere, wenn sie damals noch die „größten“ Probleme waren. Zweifelsohne sind die Kritiker von einst verstummt, die Filme längst Klassiker, die auch heute noch gruseln, begeistern und für reichlich Post sorgen, nämlich Fanpost.


