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Handkamera

 

Schon längst ist sie nicht nur im Dokumentarfilm, sondern auch im Spielfilm fester Bestandteil der Bildgestaltung. Früher oft als notwendiges Übel der schnellen und flexiblen Aufnahmemöglichkeit betrachtet, ist sie längst Stilmittel geworden.

Eigentlich begann es schon recht früh, dass die Kamera aus der Hand, bzw. ganz konkret an die Brust gebunden benutzt wurde, nämlich in "Der letzte Mann" von F.W. Murnau. Karl Freund, der Kameramann des Films schuf auf diese Weise schon 1924 eine Bildästhetik, die man damals als "entfesselte Kamera" bezeichnete. Damit schuf er beeindruckend bewegte Einstellungen, wobei er nicht nur aus der Hand drehte, sondern auch Feuerwehrleitern und allerlei andere Hilfmittel benutzte.

 

Die Anfänge

Arri35IIc 2000

Ungeblimpte Arriflex 35 IIC

 

Der wahrscheinlich häufigste Filmeinsatz aus der Hand fand vermutlich während des zweiten Weltkrieges in der Kriegsberichterstattung für Wochenschauen statt, die dort am häufigsten verwendete Kamera war die Arriflex 35 IIc. Sie besaß ein Drehbajonett mit drei einschwenkbaren Festobjektiven, einen Spiegelreflexsucher, war robust, zuverlässig und laut. Sie verfügte wahlweise über einen Federwerksmotor oder über einen Selbstregelmotor, der die Geschwindigkeit elektrisch relativ konstant einhielt.

 

Groß, laut und schwer

Bis Anfang der 60er Jahre waren Kameras entweder zu laut oder mit einem Schallschutzblimp versehen, zu schwer, um aus der Hand mit Ton zu drehen. Auch die selbstgeblimpte Arriflex 16 BL war kein Leichtgewicht. Das änderte sich mit dem Aufkommen von kompakten leisen Kameras wie der Eclair, der Beaulieu oder der Bolex.

 

Arriflex 16 BL

Die geblimpte Arriflex 16BL, hier bei einem Hochschuldreh der Münchner HFF war eher fürs Stativ als für die Handkamera geeignet

 

Damals war die Handkamera im Nachrichten,- und Dokumentarfilm in 16 mm akzeptiert, für Kino aber nur so etwas wie die No Budget Lösung wenn kein Geld für normales Spielfilmequipment und 35mm vorhanden war. Kinos konnten nämlich nur 35mm vorführen.

Mit der Möglichkeit, von 16mm oder später Super 16mm Blow Ups auf 35mm zu machen, wurden die kompakteren und für Handkamera geeigneten 16mm Kameras zunehmend auch für den Spielfilm interessant. Heutige Digitalkameras sind kompakt und von Umfang und Gewicht oft kleiner als frühere 16mm Kameras. Damit ist es noch leichter geworden die Kamera aus der Hand zu führen.

 

Klein, leicht, optimal? Tipps !

Wer jetzt aber glaubt, je leichter eine Kamera sei, desto besser könne man aus der Hand filmen, der irrt. Eine gewisse Masse ist wichtig und sinnvoll, um ruhige Aufnahmen aus der Hand zu machen. Deshalb ist es auch sehr schwer, etwa mit einem Handy ruhige Handkameraaufnahmen zu drehen, vor allem, wenn man geht.

Bei leichten DSLR oder Mirrorless Kameras nutzen manche Kameraleute die Methode, den Tragegurt der Kamera so gegen den Hals, um den man den Gurt hängen hat, zu spannen, dass dadurch eine größere Ruhe im Bild entsteht. Bei größeren Videokameras kann es helfen, sie mit leicht angewinkelten Armen vom Körper weg zu halten. Dann fungieren Unterarm und Oberarm ein wenig wie der Federarm einer Steadicam.

Wichtig ist auch, dass man eher etwas breitbeiniger da steht, die Kniegelenke eher etwas federnd. Auch das Aufstützen der Ellenbogen auf einen Tisch, das Anlehnen an eine Wand können das Bild beruhigen. Weitere Hilfsmittel wären ein Fig-Rig, aber auch Handgriffe, die man an die Rods oder den Cage einer Profikamera schrauben kann. Was auch immer es ist, es darf nicht zu schwer sein und man muss sich damit wohl fühlen.

Auch die richtige Wahl der Brennweite hilft. Weitwinkelaufnahmen sehen ruhiger aus, Normalbrennweite ist noch akzeptabel, aber bei Teleaufnahmen wird die Unruhe der Hand durch das Teleobjektiv, dem Vergrößerungsfaktor entsprechend, noch verstärkt.

 

Vorteile

Handkamera mit HVX200

Dreh aus der Hand ("Freitags um 3", Allary-Film für arte & ZDF) mit HD Kamera

 

Klassische Kamera Bewegungssysteme wie Dolly und Schienen sind stets unflexibel und lassen den Schauspielern weniger Raum zum variieren. Einen Dolly umzusetzen oder Slider neu auszurichten ist ein Mehraufwand.

Jede Veränderung kostet Umbauzeit, an heutigen Sets ein Kostenfaktor der sich schnell auch auf die Qualität auswirken kann. Handkamera ist da viel schneller, sie kann den Winkel und die Position am Spiel der Schauspieler ausrichten, was größere Freiheit für diese bedeutet. Und gleichzeitig kann die Kamera beliebig bewegt werden, in allen Achen und Richtungen.

 

Das Wackeln

Die pure aus der Hand geführte Kamera ist selten ganz ruhig, die leichte Unruhe aber auch Wackler erzeugen einen Eindruck von Dokumentaraufnahme oder auch Subjektive. Solange sich der Kameramann/die Kamerafrau selbst nicht zuviel bewegt und eher aus einer Körperposition heraus unterschiedlichste Kamerapositionen einnimmt, kann das bei ruhiger Hand, ziemlich gut aussehen. Hilfreich sind natürlich die diversen optischen Bildstabilisatoren, sowohl im Objektiv, als auch beim 5-Achsen gelagerten Sensor. Schwieriger wird es bei der Fortbewegung. Wenn wir Menschen gehen, gleicht unser Gehirn die Erschütterungen und Bewegungen unseres Kopfes aus und erzeugt ein stabildes Bild. Das macht die Handkamera bedauerlicherweise nicht. Deshalb wirken Gänge mit der Handkamera oft unruhig.

 

Handkamera mit 16 BL

Dreh aus der Hand mit Arriflex 16 BL Anfang der 80er Jahre

 

Dabei war das unruhigere Bild vor allem beim Gehen in der Regel nicht so gewollt sondern zwangsläufig. Damit wurde in Spielfilmen gerne eine voyeristische Perspektive einer Filmfigur oder, wenn sie durch andere Personen angespielt wurde, subjektive Sichtweise suggeriert. Einige wenige Filme haben das sogar über längere Strecken so verwendet. Peeping Tom, Open Water, Quarantine, Elephant Man usw.

Die Zwänge der Handkamera führten zugleich aber auch zu einer visuell klar definierten Handkameraästhetik. Derartige Aufnahmen sind eher bewegt, die Bewegungen manchmal überraschend spontan und in alle Richtungen möglich.

Früher als die Filmkameras nur einen Sucher aber kein Videodisplay besaßen und zudem recht schwer waren, bedeutete Handkamera eigentlich Schulterkamera. Die Bewegungen der Schulter beim Gehen übertrugen sich zwangsläufig auf das Bild. Auch Schulterstative, die zum Teil auf den Bauch abgestützt waren übertrugen die Körperbewegungen deutlich spürbar.

 

Neue Kameras, neue Möglichkeiten, neue Ästhetik

 

Das hat sich bei digitalen Kameras etwas geändert. Wenn sie nicht schwer sind, kann man sie am ausgestreckten Arm recht ruhig führen, nur schnelle Gänge bleiben schwierig. Sind sie schwerer, helfen Handgriffe, oft ganz klassisch kombiniert mit Schulterauflage,- ganz so wie einsmals bei den analogen Filmkameras. Man kann das aber auch bei schweren Kameras durch Hilfsmittel wie das Easy,- oder Steadirig auffangen. Auch Gimbals können, vor allem bei leichteren Kameras, Bewegungen und Gänge zuverlässig beruhigen.

Immer mehr Filme, ganz gleich ob für Kino oder Fernsehen, verwenden die Handkamera oder die mit Steadirig beruhigte Handkamera, um mehr Authentizität zu erzeugen. Wenn die Bewegungen motiviert sind und nicht versuchen, durch ständige Augenreize Aufmerksamkeit zu erzwingen, können auf diese Weise starke und glaubwürdige Filme entstehen. Es gab ganze Bewegungen im zeitgenössischen Kino, welche die Handkamera verpflichtend verwendeten, wie etwa das Manifest Dogma 95, welches Filmemacher rund um Lars von Trier verwendeten. So sind beispielsweise "Ididoten" (Lars von Trier) oder "Das Fest" (Thomas Vinterberg) aus der Hand gedreht.

Die Dokumentarfilmer des "Direct Cinema" hielten die dokumentarische Handkamera ebenfalls für die einzig authentische Kameraführung. Viele Horrorfilme nutzen die Handkamera-Ästhetik um etwa die Täter,- oder auch die Opferperspektive filmisch einzunehmen. "Blair Witch", "Quarantine" und "Cloverfield" seien hier nur beispielhaft genannt. Handkamera wird aber auch eingesetzt um Momente oder ganze Szenen der Privatheit zu suggerieren, viele Youtube Videos arbeiten damit.

Wohl überlegt sein will, ob und wie man unterschiedliche Arten der Kameraführung mischen kann. Innerhalb einer Szene ist es eher ungeschickt, Stativ und Handkamera miteinander zu schneiden. Szenen, die mal mit Handkamera, und mal mit Stativ oder Schienendolly gedreht sind, kann man hingegen durchaus abwechseln, wenn der Wechsel eine innere Begründung in den Szenen hat. Notfalls kann man einzelne Aufnahmen die zu unruhig sind, auch nachträglich stabilisieren, muss dann aber im Stabilisierungsprogramm (z.B. After Effects) etwas in das Bild hinein zoomen.

Neuere Systeme haben in die Kamera eingebaute Bewegungssensoren, welche das Wackeln während der Aufnahme präzise mit aufzeichnen und später per Software absolut bildgenau wieder ausgleichen. (z.B. die VR Kamera Insta360 Pro2)

Viele Gründe also, sich die Bildästhetik und Sprache, welche die Handkamera so nebenbei einem Film hinzufügt, genauer anzuschauen.

 

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