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Orchester Totale 2000

 

Filmmusik

 

Der in München lebende Musiker komponierte neben Musik für Theaterproduktionen unter anderen auch die Soundtracks zu "Wer früher stirbt, ist länger tot", "Open Water 2" und "Schwere Jungs". 

 

Wie sieht Ihr künstlerischer Werdegang aus? Was stand am Anfang?

 

Ich wollte als Kind unbedingt Schauspieler werden. Das hat mich schon sehr früh zum Theater gebracht. Als ich 20 Jahre alt war, habe ich am Münchner Studiotheater angefangen, Bühnenmusik zu schreiben und zu spielen. Ich bin bis jetzt dem Theater sehr verbunden und werde es, glaube ich, auch immer sein.

 

Gibt es das überhaupt, den Beruf "Filmkomponist"? Oder ist man eher allgemein Berufsmusiker und ergreift dann die Gelegenheit, für Film zu komponieren?

 

Es gibt sicherlich viele großartige Komponisten, die niemals eine taugliche Filmmusik schreiben könnten und andersherum - auch Filmkomponisten, die in der "freien" Musikszene total verloren wären. Bestimmt aber ist das Leben als Filmkomponist leichter, wenn man seine Wurzeln als selbständiger Musiker hat - die spannendsten Filmmusiken sind für mich auch immer ohne Film hörenswert. Die kurze Antwort wäre: Es gibt auf alle Fälle den Beruf des Hollywood-Filmkomponisten.

 

Sie arbeiten ja auch viel für's Theater. Bei Schauspielern stellt sich ja immer die Frage nach dem Unterschied zum Film bezüglich Arbeitsweise usw. Kann man da auch in Bezug auf die musikalische Gestaltung grundsätzliche Unterscheidungen machen?

 

Theatermusik live ist jeden Abend anders, abhängig von allen Beteiligten auf der Bühne. Im besten Fall entwickelt sich eine Theatermusik im Laufe von 50 Vorstellungen weiter - wie bei einer gut geprobten Band. Es hat also immer etwas mit Improvisation zu tun - das gibt es beim Film seit der Stummfilm-Zeit nicht mehr. Das ist für mich der bedeutendste Unterschied. Ansonsten - die gleiche Suche, die gleichen Kämpfe, das gleiche Glück...

 

Ist ein Berufswunsch "Filmkomponist" überhaupt ratenswert? Kann man davon im Normalfall leben?

 

Jeder Musiker, der hin und wieder Musik für einen Werbespot schreibt oder für eine Fernseh-Serie, ist finanziell besser dran. Es dauert ziemlich lange, bis man sich einen Stand erarbeitet hat, der es einem ermöglicht, höhere Gagen zu verlangen.

 

Sie komponieren ja auch "ernsthafte" Musik. Kann sich da die Entscheidung, Musik für Film zu komponieren, unter Umständen auch negativ auf die Wahrnehmung der Fachleute auswirken - dass man sich also eine größere Karriere in anderen Bereichen damit verbaut?

 

Es gibt immer wieder welche, die einen ernsthaften Popsong ein paar Klassen unterhalb eines unterhaltsamen Streichquartetts ansiedeln würden. Das sind aber vielleicht ja Kollegen, die noch nie einen geschrieben haben... Die Unterscheidung zwischen E- und U-Musik existiert ja nur noch per Definition - und hauptsächlich in der finanziellen Auswirkung durch die GEMA. Mir kann niemand erklären, warum ein Joni Mitchell Song "U" - und ein André Rieu-Brei "E" Musik ist. Also - man muss sich die Fachleute, deren Meinung man schätzt und achtet, schon selbst aussuchen.

 

Wie groß ist in etwa das Budget für Filmmusik bei einem Film im Durchschnitt?

 

Sehr unterschiedlich. Es hängt vom Gesamt-Budget des Films, von der Art der Instrumentierung und vom Score-Anteil ab. In vielen Filmen, vor allem TV-Movies werden ja irgendwelche alten Songs inflationär eingesetzt, d.h. der Filmmusik - Anteil fällt dann geringer aus.

 

Ich nehme an, letzteres bedeutet (auch finanziell) weniger Aufwand für die Produktion...

 

Bekannte Songs werden hauptsächlich bei reinen Fernseh - Produktionen eingesetzt - man hat keinerlei Produktionskosten, sofern der Track auf einer CD mit LC (Label - Code) erschienen ist. Für Kino - Produktionen ist die rechtliche Lage völlig anders - die Nutzungsrechte müssen erworben werden, was für die meisten Produktionen jenseits des Machbaren liegt. Für den Kinofilm AUS DER TIEFE DES RAUMES haben z.B. die beiden Münchner Komponisten Alex Haas und Stefen Noelle Songs im Stil der 60er Jahre komponiert - die Filmmusik sollte klingen, als hätten wir Bands aus dieser Zeit für die Aufnahmen im Studio gehabt.. Wenn wir tatsächlich alte Original - Aufnahmen verwendet hätten. wäre es unbezahlbar geworden.

 

Ist man als Filmkomponist nur für die Komposition oder auch für die Realisierung des Soundtracks verantwortlich/ oder ist das unterschiedlich?

 

Auch unterschiedlich... Manche Filmproduktionen kaufen reihenweise existierende Songs ein und die dazugehörigen Nutzungsrechte (z.B. "Fear and Loathing in Las Vegas") - der Soundtrack ist dann wie eine nostalgische Compilation. Bei den letzten beiden Kinofilmen "Wer früher stirbt ist länger tot" und "Schwere Jungs" wurde die gesamte Musik von mir geschrieben, da war ich dann auch für den Soundtrack verantwortlich.

 

Wie viele Vorgaben bekommt man für die Filmmusik (z.B. in Hinblick auf "Wer früher stirbt" oder "Open Water 2"- gibt es da bereits sehr genaue Vorstellungen von Seiten der Produktionsfirma, oder kann man sich da auch konzeptionell austoben?

 

Im besten Fall - und das war bei WER FRÜHER STIRBT… so, arbeitet man als Komponist eng mit dem Regisseur und den Produzenten zusammen. Die Zusammenarbeit war schon vor Beginn der Dreharbeiten klar, d.h. ich konnte schon sehr früh einige Stücke schreiben und auch ein paar Sequenzen (wie z. B. die Fegefeuer-Szenen) musikalisch vorproduzieren.

 

War der Soundtrack bei "Wer früher stirbt" von Anfang an dazu vorgesehen, als CD veröffentlicht zu werden, oder hat sich das erst später ergeben?

 

Das hat sich im Lauf der Produktion ergeben.

 

Wie gelangt man einen "internationalen" Kompositionsauftrag wie z.B. für "Open Water 2"? Sie waren ja während ihrer Ausbildung auch in Amerika- können Sie diesen Weg empfehlen oder hat es auch Vorteile, sich auf den deutschen Markt zu beschränken?

 

Ich würde jedem, dem sich die Möglichkeit bietet, immer empfehlen, auch im Ausland zu studieren, es muss ja nicht in den USA sein... Viel mehr als um das eigentliche Fachstudium geht es ja dann darum, sich irgendwo in der Fremde zurechtzufinden und vor allem um die wunderbare Ausgangslage, bei Null anzufangen. Das hat man nicht oft im Leben. Und natürlich muss man noch Glück haben - und an fähige Lehrer geraten... Der Auftrag für "Open Water 2" (der eigentlich ADRIFT heißt) kam von dem in München lebenden Regisseur Hans Horn. Da ich ebenfalls in München lebe, ist der Film zwar international, die Verbindung zwischen Komponist und Regisseur aber doch eher regional...

 

Wie muss man sich die Komposition eines Scores genau vorstellen: wird die Musik da direkt auf das Bild hin komponiert? Wie präzise muss man da vorgehen?

 

Jeder Komponist wird seine ganz persönliche Vorgehensweise haben, aber wahrscheinlich gibt es doch ein paar zutreffende Allgemein - Spielregeln: Die ersten Gedanken sind meiner Ansicht nach die wichtigsten. - Was für eine Art Musik braucht der Film? - Braucht er überhaupt Musik?? Bezieht die Musik Stellung, geht sie tief in die Gefühle der Personen - oder ist sie beobachtend und distanziert? Das Ergebnis dieser ersten Fragen führt einen automatisch zu den Fragen der konkreten Umsetzung - Welche Instrumentierung ist die Richtige? Welche "Größe" sollte die Musik haben? Dann macht man sich an die Komposition verschiedener Themen, Motive oder Stimmungen. In Absprache mit dem Regisseur kann man dramaturgische Bögen festlegen und ein Musik - Drehbuch zum Film entwickeln. Sobald die grundsätzlichen Punkte geklärt sind, wird auf Bild gearbeitet - und je fortgeschrittener das Arbeitsstadium ist, umso präziser wird gearbeitet.

 

Wie lange arbeiten Sie in etwa an der Filmmusik eines Filmes?

 

Abhängig von der Art und Menge der Musik... so zwischen 3 Wochen und 4 Monaten..

 

Ab welchem Punkt während einer Filmproduktion kommen Sie ins Spiel - bereits bei den Filmvorbereitungen, oder dann, wenn gedrehtes Material vorliegt?

 

Im besten Fall - wie bei WER FRÜHER STIRBT IST LÄNGER TOT - vor Beginn der Dreharbeiten. So hat man die Möglichkeit, atmosphärisch von Anfang an einzugreifen - für die Beteiligten am Filmset ist es auch inspirierend (hoffe ich) - Ich wünsche mir, irgendwann eine Filmmusik zu schreiben, bevor der Film gedreht wird, so dass Autor und Regisseur Szenen aufgrund schon aufgenommener Musik fertig entwickeln können. Wahrscheinlich wird das meine Beschäftigungstherapie im Ruhestand.... Im Regelfall beginnt die Arbeit des Filmkomponisten aber erst nach den Dreharbeiten - mit dem ersten Rough-Cut. Üblicherweise werden heute bei den Szenen, in denen Musik gewünscht ist, Layout - Musiken unterlegt, die schon mal in die richtige Stimmungs - Richtung zeigen.

 

Wie muss man sich den Kompositions- /Produktionsablauf vorstellen? Halten Sie ständig Rücksprache mit der Produktion, ob die mit der Grundstimmung Ihrer Kompositionen einverstanden sind, oder haben Sie relativ freie Hand, wie und was Sie komponieren?

 

Das hängt sehr vom Vertrauensverhältnis ab. Wenn man mit einem Regisseur oder Produzenten schön öfter erfolgreich zusammengearbeitet hat, ist man bestimmt selbstständiger und entspannter bei der Arbeit. Aber - in jedem Fall ist es wichtig, eng mit dem Regisseur zusammen zu arbeiten - denn die richtige Musik kann eine gute Szene vergolden, die (aus Regisseur - Sicht) "falsche" Musik kann die Aussage so verändern, wie sie vielleicht nie geplant war.. (man stelle sich wiederum den bayrischen Defiliermarsch für eine tragische Liebeszene im nächtlichen tropischen Regenwald vor) Wenn die grundsätzliche musikalische Richtung festgelegt ist, habe ich meistens Freiheit beim Komponieren.

 

Sie produzieren auch Konstantin Wecker: Wie muss man sich einen Arbeitstag bei Ihnen vorstellen? Arbeiten Sie an vielen Projekten gleichzeitig, oder entsteht z.B. ein Soundtrack am Stück und anschließend sind wieder andere Projekte dran? 

 

Das kann man sich nicht immer aussuchen... Es gibt schon oft Überschneidungen, so dass ich an mehreren Projekten gleichzeitig arbeite. Für mich ist es wichtig, viele unterschiedliche Projekte zu haben - vor allem auch live zu spielen. Wenn ich zu viel im Studio sitze, fällt mir der Himmel auf den Kopf…

 

Haben Sie Beispiele für gelungene und/oder weniger gelungene Filmmusik?

 

Wenn ich an gute Filmmusik denke, kommt mir als erstes "Barry Lyndon", der Film von Stanley Kubrick. Der Soundtrack wurde nicht für den Film komponiert, sondern ist eine Auswahl historisch passender Stücke. Der Moment, in dem der Hauptdarsteller zum ersten Mal seiner spätere Frau, Lady Lyndon, begegnet, ist mit Schuberts Piano Trio in Eb Dur unterlegt. Schubert würde ich also posthum auch noch als genialen Filmkomponisten betrachten… Außerdem: "Brazil", der Film von Terry Gilliam mit der Musik von Michael Kamen und... weiter in der Vergangenheit alle Henry Mancini Produktionen und natürlich Nino Rota. An Morricone kommt man auch nicht vorbei, wenn man sich leuchtende Beispiele anhören will...

 

Was macht den Erfolg von Star-Komponisten wie z.B. Hans Zimmer aus?

 

Kann ich nicht sagen - ich kenn ihn ja nicht persönlich. Er ist bestimmt unglaublich fleissig und sehr konsequent in seinem Schaffen.

 

Welchen Anteil am Film hat die Filmmusik, auch in Hinblick auf Emotionen? Kann die Musik auf einer unbewussteren Ebene auch zu einem wichtigen Teil der Handlung werden? 

 

Als Leitsatz in Jerry Goldsmith Buch "Scoring for films" steht: "You ´ll never save a bad scene with good music". Das bedeutet auch: Je besser der Film für sich funktioniert, umso mehr kann die Musik beitragen, aus einem guten Film einen sehr guten Film zu machen. Und sicher kann die Filmmusik auch zur Deutung der Handlung beitragen. Eine zärtliche Liebesszene, untermalt mit einem gefühlvollen Streicherensemble und einer wunderschönen Klarinettenmelodie hat unter Umständen eine andere Wirkung als die gleiche Szene untermalt mit der deutschen Nationalhymne von den Münchner Homophonikern gesungen und mit 12 Banjos begleitet usw...

 

Haben Sie zum Schluss noch einen (persönlichen) Rat für Musiker, die beruflich in Richtung Filmmusik gehen wollen?

 

Nachdem die Produktionsmöglichkeiten auch mit wenig Budget mittlerweile fast alles zulassen, wird es immer verlockender, große sinfonische Orchesterklänge mit Sample-Libraries zu produzieren. Das ist sehr verlockend und oft auch sehr nützlich. Mein Rat wäre trotzdem, immer so viel wie möglich live aufzunehmen und mit selbst produzierten Sounds zu experimentieren. Es ist, am Ende, meistens spannender.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Das Gespräch führte Johannes Prokop

 

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