
Kein Massen-Genre, sondern eher eine avantgardistische Strömung innerhalb des Filmschaffens,- man spricht auch von Filmen mit surrealen Inhalten, - warum waren sie so prägend? Es war zu klein um ein wirkliches Genre zu sein, und auch als Strömung nur eine mit nur wenigen Filmen, doch die hatten es in sich und haben Filmgeschichte geschrieben. Jene Filmkunstrichtung entstand Ende der 1920er-Jahre in dichter Verknüpfung mit der surrealistischen Kunst- und Literaturbewegung (André Breton, Salvador Dalí, Luis Buñuel u. a.)
Wer an Surrealismus denkt, dem fallen zunächst einmal Maler wie Salvadore Dali, Yves Tanguy oder René Magritte ein, Fotografen wie Eli Lotar, Claude Cahun oder Man Ray, oder aber der spanische Regisseur Luis Buñuel, der gleich mit seinem „Chien Andalou“ und „Das goldene Zeitalter“ Zeichen gesetzt und das Kino ordentlich provoziert hat.
Das war avantgardistisches Kino vom Feinsten, nicht unbedingt jedermanns Geschmack und viele glauben den Andalousischen Hund gesehen zu haben, doch gesehen hat man meist nur die Einstellung, in welcher ein Auge aufgeschnitten wird. Gruselig auch, weil im Film der Eindruck entsteht, es handle sich um das Auge eines Menschen, konkret einer Frau. Worum es in dem Andalusischen Hund geht, wissen die wenigsten. Wer etwas tiefer in die Recherche einsteigt, stößt auf Germaine Dulac und den Film „La coquille et le clergyman“ (1928) welcher als erster surrealistischer Film gilt.
Prinzipien
Nun mit klassischer Filmdramaturgie hatte der Surrealistische Film nichts am Hut. Er folgte vielmehr einer Art Traumlogik des Unbewussten, statt klassischer Handlung. Die filmische Erzählung, wenn man denn von einer sprechen konnte, verweigerte sich einer linearen, realistischen Erzählweise. Die Handlungselemente waren bewusst unlogisch angeordnet, folgten Traumelementen, Assoziationen und unbewussten Abläufen. Dies manifestierte sich auch in unerwarteten Erzählsprüngen, Brüchen und Wandlungen. Das ging so weit, dass man beim Schreiben und Umsetzen auf Zufall, Automatismus und Improvisation setzte. Ein Prinzip welches es in der surrealistischen Literatur als Arbeitsprinzip des automatischen Schreibens , der „écriture automatique“ gab.
Heute spricht man auch vom "unzuverlässigen Erzähler", wenn die Zuschauer bewusst in die Irre geführt oder mit zu wenigen Informationen für das Verständnis einer Handlung versorgt werden. Die Basis dafür wurde von den Surrealisten geschaffen. Damit boykottierten diese Filme jede bürgerliche Sehnsucht nach verlässlichem Erzählen, Verhaltensnormen und Konventionen. Zu diesem Generalangriff gegen bürgerliche Haltungen kamen auch bewusst gesetzte gesellschaftliche, moralische oder auch religiöse Tabubrüche hinzu. Ziel war es, die Zuschauer zu schockieren und zu irritieren.
Den Ursprung aus der surrealen Malerei und Photographie zeigte der surrealistische Film auch durch eine starke Bildsprache, die intensiv mit Symbolik, Metaphern und visuellen Paradoxien arbeitete. Traumartige, oft verstörende Bilderwelten standen im Vordergrund. Der surrealistische Film bediente sich vieler Erkenntnisse von Sigmund Freud über das Unbewusste, die Traumdeutung, die verdrängten Ängste und Sehnsüchte und der von ihm entwickelten Psychoanalyse.

Jahre später hat Luis Buñuel nach seiner Rückkehr nach Europa elaboriertere, aber nicht weniger provokante Filme wie „Das Gespenst der Freiheit“ gedreht in welchem die Gäste eines Abendessens auf Kloschüsseln sitzen. Oder sein Meisterwerk „Dieses obskure Objekt der Begierde“. Was genau man unter Surrealismus im Film verstehen darf, ist relativ weit gefasst und der Begriff hat sich auch mit den Jahrzehnten etwas abgenutzt. Buñuel nutzte das Label um über sexuelle Unterdrückung, über Triebe, über Unbewusstes zu erzählen. Oft künstlerisch klug verschlüsselt, um nicht Opfer von Filmzensur zu werden. Er wollte wachrütteln, schockieren, wollte das Filmmedium vom Anspruch des Unterhaltenden befreien. In einer Phase der Spanischen Diktatur war das mutig und zugleich nicht ungefährlich. Lange Jahre musste Buñuel in Mexiko arbeiten. Seine dort entstandenen Filme blieben weitgehend unbekannt. Erst im Alter war die Franco-Diktatur zu Ende und er konnte zurückkehren. Die mexikanische Phase des Regisseurs reicht von Anfang der 1940er-Jahre bis in die frühen 1960er-Jahre. Dabei war Buñuel im kommerziellen mexikanischen Kino tätig und drehte durchaus klassische Meldodramen und Komödien. Trotzdem schaffte er es, bei einigen seiner Filme deutlich surreale Elemente unterzubringen. Besonders bekannt wurde die „Abendmahl“-Szene mit Bettlern in seinem Film "Viridiana".
Buñuels mexikanische Filmme mit Surrealen Elementen
- "Los olvidados" (1950)
- "Él" (1953)
- "Ensayo de un crimen" (1955, „Das Verbrechen lohnt sich“)
- "Nazarín" (1959)
- "El ángel exterminador" (1962)
- "Viridiana" (1962, mexikanisch-spanische Koproduktion)
Der surrealistische Film selbst war nie wirklich kommerziell erfolgreich und mancher denkt, er sei spätestens mit Buñuel gestorben. Doch das wäre nur die halbe Wahrheit, denn viele Prinzipien und Ideen wurden von Regisseuren wie David Lynch, Federico Fellini, Jan Švankmajer, oder Alejandro Jodorowsky in ihren Arbeiten übernommen. Wenn in Paul Thomas Andersons "Magnolia" (1999) plötzlich ein Froschregen einsetzt oder verschiedene Figuren zur gleichen Zeit den gleichen Song singen, oder beispielsweise die Rosenblätter-Träume von Lester in dem Film "American Beauty" (Sam Mendes, USA 1999) sind die Beispiele für surreale Elemente in einem ansonsten klassisch erzählten Drama. Der künstlerische Virus des Surrealen, der in den 20 er Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts in die Welt gesetzt wurde, lebt munter weiter.

Liste echter, ursprünglicher Surrealistischer Filme, welche unmittelbar aus der surrealistischen Kunstbewegung entsprangen
- „La coquille et le clergyman“ (1928, Germaine Dulac)
- „Un Chien Andalou“ (1929, Luis Buñuel & Salvador Dalí)
- „L’Âge d’Or“ (1930, Luis Buñuel)
- „Le sang d’un poète / Das Blut eines Dichters“ (1930, Jean Cocteau)
- "Meshes of the Afternoon" (1943, Maya Deren)
Surrealistische Strömungen
- „Orphée“ (1950, Jean Cocteau)
- „8½“ (1963, Federico Fellini)
- „El Topo“ (1970, Alejandro Jodorowsky)
- „The Holy Mountain“ (1973, Alejandro Jodorowsky)
Moderne Filme mit surrealistischen Elementen (ab 1980er)
- "Brazil" (Regie: Terry Gilliam 1985)
- „Alice“ (1988, Jan Švankmajer)
- „Blue Velvet“ (1986, David Lynch)
- „Eraserhead“ (1977, David Lynch)
- "Fear and Loathing in Las Vegas" (Regie: Terry Gilliam, 1998)
- „Magnolia“ (1999, Regie: Paul Thomas Anderson)
- "Being John Malkovich" (1999, Spike Jonze)
- "American Beauty" (Sam Mendes, USA 1999)
- „Mulholland Drive“ (2001, David Lynch)
- "Eternal Sunshine of the Spotless Mind" (Regie: Michel Gondry, 2004)
- „The Science of Sleep“ (2006, Michel Gondry)
- "Pan’s Labyrinth" (2006, Guillermo del Toro)
- "Synecdoche, New York" (2008, Charlie Kaufman)
- "The Tree of Life" (2011, Terrence Malick)
- "Birdman" (2014, Alejandro G. Iñárritu)
- „The Lighthouse“ (2019, Robert Eggers)
Moderne Filme, die mit surrealistischen Elementen arbeiten, werden meist mit anderen Labels versehen, etwa „Psychologischer Thriller“ oder „Magischer Realismus“. Doch sie alle gehen zurück auf jene wilden und ungewöhnlichen französischen, spanischen und mexikanischen Filme ab dem Ende der zwanziger Jahre.

