Tenrikyo, une tradition en toge noire
Interview mit Mesmer Rufin Mbou Mikima, der seinen zweiten Dokumentarfilm zum Dokfest München 2007 in der Sektion "Horizonte" präsentierte.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen diesen Film zu machen?
Ich bin durch Zufall auf diese Thema gestoßen. Ich bin darauf aufmerksam geworden, als ich durch Tenrikyo kam, dieses bekannte und populäre Viertel von Brazzaville. An einem Gebäude hörte ich Stimmen und Geräusche, die mich ans Theater erinnerten. Ursprünglich komme ich ja vom Theater. Als ich diese Stimmen und die Leute reden hörte, habe ich mir gesagt, es sind vielleicht Leute vom Theater, die gerade proben. Da ich das Theater liebe, bin ich hingegangen um zu schauen. Und erhoffte mir, die Leute beim Proben zu sehen. Ich habe dort dann eine ganz andere Realität vorgefunden. Und wir reden hier schließlich über die Hauptstadt im Kongo. Wo die Leute moderner sind und die Menschen die Tendenz haben, mehr verwestlicht zu sein als woanders im Land. Und da habe ich diese Leute gefunden, die dieses traditionelle Gewohnheitsrecht ausüben. Für mich war das eine große Entdeckung. Und ich habe mich an die Arbeit gemacht, darüber zu recherchieren, was mir unbekannt und fremd war. Und was ich nicht kannte. Denn als ich noch klein war, hatte ich keine Möglichkeit viel von meiner Kultur und den Gebräuchen zu lernen. Und da hat sich diese Tradition wie ein Buch vor mir geöffnet und mir alle diese Einblicke gewährt. Also habe ich mich hingesetzt, um es zu studieren und zu verstehen.
Zu diesem Zeitpunkt war Ihnen schon bewusst, einen Film über eine Gerichtsbarkeit zu machen, die in der heutigen Zeit als sehr unzeitgemäß erscheint?
Es ist nicht die Form der Gerichtsbarkeit, die in sich fremd erscheint. Denn ich wusste, dass es diese Form der Gerichtsbarkeit schon sehr lange gab. Ich dachte, dass diese Tradition keine Stellung und Bedeutung mehr im modernen Leben der Leute hat. Aber ich wusste nicht, dass sie den Sprung in die moderne Zeit geschafft hat. Eben in der Hauptstadt habe ich herausgefunden, dass diese Form der Tradition immer noch existiert. Und überhaupt, weil sie überlebt und sich an die moderne Zeit angepasst hat. Somit hat mich dieser Kontrast interessiert zwischen einer vergangenen Tradition, die in der heutigen Zeit weiter praktiziert wird. Und das wollte ich filmen.
Hatten sie ein spezielles Publikum im Sinn, an den Sie den Film richten wollten?
Zuallererst habe ich diesen Film für mich selbst gemacht, weil ich diesen Ort entdeckt hatte. Nachher, was man auch im Film sieht, gehe ich am Anfang einen Pakt mit den Vertretern dieses Bürgertribunals ein. Ich muss um Erlaubnis fragen zu filmen. Und sie machen mich vertraut mit dem Geist und der spirituellen Bedeutung dieses Ortes. Mit dem Sinn, dass der Film, den ich hier machen werde, hinausgetragen werden soll in die Welt. Um den Menschen zu zeigen und Ihnen verständlich zu machen, wie dieses Tribunal funktioniert und was dahinter steht.
Am Anfang war es ein Film für mich. Nachher ist es ein Film geworden, den ich den Menschen zeigen wollte, damit sie besser verstehen, wie dieses Tribunal des Gewohnheitsrechts funktioniert.
Was waren die Herausforderungen aus Produktionssicht. Gab es technische Probleme während des Drehs?
Es ist wahr, dass es viele Probleme technischer Natur gab während der Dreharbeiten. Unter anderem Schwierigkeiten mit der Stromversorgung und Elektrizität, die am Drehort auftauchten. Wir waren immerhin in der Hauptstadt Kongos, aber das Gebäude war nicht elektrifiziert. Also kam es durch die Stromversorgung zu Lärm. Oder es gab Probleme mit dem Licht, das im Publikum des Tribunals aufgestellt werden musste. Einige Schwierigkeiten in der Produktion, die aber unter Kontrolle waren. Wir hatten ein festes Budget und ein effizientes Team, die uns während dieses Projekts begleitet haben. Es ist also in produktionstechnischer und finanzieller Sicht mehr als gut gelaufen.
Wie haben Sie die Dreherlaubnis bekommen, um an diesem Tribunal drehen zu können?
Es war nötig, zwei Genehmigungen einzuholen. Eine vom Richter, der höchsten Autorität dieses Bürgertribunals. Die zweite von Gott selbst, der sozusagen die mystische Kraft und den Garant hinter diesem Tribunal darstellt. Somit waren eine physische und eine spirituelle Erlaubnis sozusagen einzuholen. Als ich sie um Erlaubnis gefragt habe in der Art "ich mache das, um dieses Gewohnheitsrecht zu verstehen und zu lernen" waren sie nicht abwehrend. Für sie war es die Möglichkeit zu unterrichten. Es ist wahr, sie üben dieses Recht aus und praktizieren es, aber unterrichten tun sie es nicht. Also sagten sie: Einverstanden, wenn Du es lernen willst, werden wir dich unterrichten. Und Du kannst es dann den anderen vermitteln als Überbringer. Also es gab keine Probleme. Ich hatte auch das Glück, dass das Filmteam sich im Wesentlichen aus schwarzen Afrikanern zusammensetzte. Also haben sie nicht das Gefühl gehabt, ausspioniert zu werden. Wenn es einen weißen oder Ausländer im Team gegeben hätte, hätten sie sicherlich einige Sachen vermieden zu machen und zu zeigen. Sie haben darüber hinaus im Vorfeld gefragt, aus welchem Land die Leute des Teams kommen, und ob sie nicht aus Europe sind. Also haben sie uns die Erlaubnis gegeben.
Ist es nicht ungewöhnlich in der heutigen Zeit, dass ein Tribunal von Privatpersonen ausgeübt wird, die ohne juristische Ausbildung das Amt des Richters bekleiden?
Das ist wahr. Es ist wie eine Parodie auf die Gerichtsbarkeit. Die Form bleibt im Wesentlichen dieses Gewohnheitsrecht. Man braucht keine Ausbildung dafür. Wenn Sie ein Problem mit ihrer Frau oder Kindern im eigenen Haus haben, regeln sie das ohne Richter. Es ist ein bisschen wie das, was in diesem Gericht passiert. Der Chef des Viertels ist derjenige, der die Probleme der Bewohner löst. Weil er derjenige ist, der am meisten weiß, der die Autorität des Viertels darstellt. Nun hat man diesem Tribunal eine moderne Form gegeben, um der Tatsche zu entfliehen, dass man in einer vergangenen, rückständigen Tradition verhaftet geblieben ist. So ist es für sie notwendig gewesen, sich zu verändern und der modernen Zeit anzupassen. Sie haben in Büchern gelesen, ohne wirkliche Ausbildung, und haben sicherlich zwei, drei Gerichtsverhandlungen beigewohnt. Es ist eine Sache, die weitergegeben wird und nicht wirklich unterrichtet wird wie in einer Schule.
Wie hat sich das Verhalten der Protagonisten vor der Kamera verändert? Welchen Einfluss hat die Kamera auf die Menschen gehabt?
Es war sehr merkwürdig, und ich habe es am Anfang auch nicht so recht verstanden. Die Leute sagen, die Kamera erreicht, sich vergessen zu machen. Was ich nicht so recht glaube. Ich denke, dass die Kamera es geschafft hat, dass die Leute sich akzeptiert fühlten. Sie wussten, dass die Kamera da war, aber haben sich absolut nicht darum gekümmert. Es ist, als ob die Kamera nicht da war. Das Publikum ist öffentlich. Jeder kann diesem Tribunal beiwohnen. Also die Kamera war irgendjemand für sie. Sie haben sich also nicht verändert und ganz natürlich verhalten. Wenn sie ausgeartet sind, sind sie ausgeartet, wenn sie sich gestritten haben, haben sie sich gestritten. Sie waren wie gewöhnlich vor, während und nach den Aufnahmen.
Es gab eine Juristin der Vereinten Nationen, die sehr gestikulierend vor der Kamera aufgetreten ist. War ihr Verhalten nicht für die Kamera?
Ihr Verhalten war nicht für die Kamera, sondern wegen dem Problem an sich, das sie aufgeregt hat. Sie wurde der Hexerei von ihrem Bruder bezichtigt und ist aufgefordert worden, dem entsprechenden Ritual zu folgen. Was als Konsequenz bedeutet, wenn Sie als Hexe entlarvt werden würde, würde sie in den nächsten 24 stunden sterben. Das sagt die Tradition. Und sie als Juristin von den Vereinten Nationen, intellektuell und sehr modern, hat sich einen Moment lang gefragt: Und wenn ich jetzt sterben würde durch diese Ritual? Und hat dann mit aller Vehemenz sich verteidigt und verweigert, an dieser Zeremonie teilzunehmen. Und das Interessante daran ist, als der höchste Richter abgebrochen hat und die Leute gegangen sind, hat sie bemerkt, dass eine Kamera sie aufgenommen hat. Sie hat das in ihrer Wut und Aufregung aber nicht bemerkt und hat uns dann aufgefordert, die Kamera auszuschalten. Wir haben dieses Stück im Film auch nicht gezeigt und ausgelassen. Das war intuitives Verhalten von jemand, der sich verteidigen wollte ohne zu wissen, dass er gefilmt wird.
Sie hatten etwa 60 Stunden Filmmaterial. Warum haben sie gerade diese Fälle für ihren Film ausgewählt?
Das Konzept war sehr genau geschrieben im Vorfeld. Ich habe mehreren dieser Verhandlungen beigewohnt und wusste also, welche Fälle in der Mehrzahl vor dieses Tribunal kommen. Und somit exemplarisch sind. Die also wollte ich zeigen. Die Fälle der Hexerei, der Scheidungen. Aber ich hatte auch Fälle gesehen, wo es zu einem absoluten Konflikt zwischen den Beteiligten kommt. Aber nicht ersichtlich war, warum es zu Handgreiflichkeiten kommt. Beim Schnitt habe mir also gesagt, werde ich mit solch einer Szene am Anfang des Films beginnen. Und dann eine Scheidung zeigen mit dem anschließenden Ritual, ohne zu wissen wie diese verlaufen wird. Dann gab es mehre Fälle mit Scheidung, zwei oder drei, die sich wiederholt haben. Und einige mit Hexerei. Und von denen habe ich dann die ausgewählt mit der besten Präsenz.
Haben sie ein festes detailliertes Konzept mit dem Sie an den Film gehen? Oder entwickelt sich der Film und seine Botschaft während des Drehs?
Jetzt wo ich den Film fertig sehe, entwickelt sich der Film bei der simplen Betrachtung. Und ich bekomme eine andere Aussage. Zu Beginn war es eine Entdeckung, und ich habe mich aufgemacht, diese Thematik zu recherchieren. Die Fälle zu dokumentieren und Notizen zu machen. Zu sehen, wie dieses Tribunal funktioniert. Ich wollte keine eigene Meinung dazu abgeben, warum sie das machen. Das hat mich nicht interessiert. Ich wollte zeigen, wie sie es machen. Das war die Prinzipielle Botschaft. Ich wollte den Zuschauern nicht sagen, welche Gerichtsbarkeit die Richtige ist. Jeder Einzelne kann danach für sich entscheiden, ob es gut ist oder nicht und sich sein Urteil bilden. Ich habe natürlich auch andere Projekte, wo ich eine konkrete Meinung im Film zeige. Der nächste Film, den ich im Moment vorbereite, zeigt zum Beispiel so einen Fall, wo meine Intention ist, zu zeigen was ich sagen will und was ich meine. Da will ich nicht nur observieren, sondern durch den Film etwas ausdrücken.
Wie stehen Sie zur kritischen Distanz im Dokumentarfilm? Welche Position beziehen Sie?
Das hängt davon ab. Man kann befragen, das was man sieht. Bei diesem Film habe ich nicht befragt. Nun, ich habe ein wenig gefragt, wie dieses Tribunal funktioniert. Ich war eher mit der Haltung ran gegangen zu lernen, die Sachen zu verstehen. Meine Meinung ist, dass die Kamera nicht neutral ist. Die Kamera allein kann keinen Film machen. Hinter der Kamera ist immer eine Person mit einer Blickrichtung und Meinung. Die Person hinter der Kamera entscheidet individuell, was sie filmt und welcher Sache sie mehr Bedeutung zumisst. Es gibt immer etwas, was man genauer beobachten will. Es ist richtig, dass man im Vorfeld eine präzise Idee davon hat, was man genau filmen will. Aber während des Drehs können Einflüsse entstehen, die einen auf bestimmte Sachen dann lenken.
Im Vergleich zum narrativen Film, liegen Ihrer Ansicht nach mehr Möglichkeiten im Dokumentarfilm Zustände und Haltungen zu verändern?
Zuallererst bedeuten beide Formen für mich das Kino. Sei es Film oder der Dokumentarfilm. Wir sind nicht im Fernsehen oder in der Literatur. Ich finde es lächerlich, wenn die Leute sagen: ich mache Fiktion, weil ich eine Geschichte erfunden habe, und ich mache es, weil die Leute sich dann mehr dafür interessieren oder nicht. Nein. Prinzipiell, auch in Filmen, und es gibt viele bekannte Beispiele dafür, hat man eine Botschaft, sei sie politisch oder ästhetisch. Man definiert, was man sagen möchte, genau wie im Dokumentarfilm. Heute gibt es das Genre der Doku-Fiktion, wo beide sich vermischen. Aber wie gesagt, man kann sich durch beide genauso gut ausdrücken.
Herr Mbou Mikima, wir danken Ihnen für das Gespräch.