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Daten

Lost River

95 Min., Drama, USA 2014

REGIE: Ryan Gosling

DARSTELLER: Christina Hendricks, Saoirse Ronan, Eva Mendes, Matt Smith, Iain De Caestecker, Ben Mendelsohn, Barbara Steele, Reda Kateb, Cody Stauber, Landyn Stewart, Rob Zabrecky

 

Regie: Ryan Gosling

Kinostart: 28. Mai 2015

 

Inhalt:

 

Billy [Christina Hendricks] lebt als alleinerziehende Mutter zweier Söhne in dem tristen Ort "Lost River", dessen Häuser nach und nach abgerissen werden. Als auch ihr Heim dran glauben soll, weil sie die Kredite nicht mehr zahlen kann, macht ihr der neue Bankangestellte Dave [Ben Mendelsohn] ein zwielichtiges Angebot. Ihr Sohn Bones [Iain De Caestecker] sucht währenddessen in alten Häuserruinen nach Kupfer, um es gewinnbringend zu verkaufen - kein einfaches Unterfangen, denn der gewaltbereite Bully [Matt Smith], der sich als Herrscher der Stadt bezeichnet, lauert ihm ständig dabei auf. Freundschaft schließt Bones mit der jungen Nachbarin Rat [Saoirse Ronan], die vermutet, es läge ein Fluch auf der Stadt und ihm von einem traurigen Geheimnis berichtet...

 

Kritik:

 

Ein nicht unerheblicher Teil des Ruhmes Ryan Goslings geht auf den Regisseur Nicolas Winding Refn zurück, der ihn in seinen elegischen Leinwand-Reflexionen "Drive" und "Only God Forgives" als Hauptdarsteller einsetzte und es dabei bestens verstand, dessen stoisches Mienenspiel ins rechte Licht zu rücken. Dass sein Einfluss auf dessen Karriere allerdings noch darüber hinausging, beweist Goslings Regiedebüt, das deutlich von Refns suggestiver Bildsprache geprägt ist und sich in der Präsentation ähnlicher bis identischer Formeln bedient. In leicht mystisch aufgeladener Atmosphäre erzählt "Lost River" die Geschichte der gleichnamigen fiktiven Stadt, die so heißt, seitdem ein Staudamm das Gebiet unter Wasser setzte und viele der sich darin befindlichen Ortschaften überflutet wurden. Von diesem Tage an, so die Überzeugung eines der Protagonisten, liegt ein Fluch auf der Gegend. Nicht nur die Häuser sind größtenteils Ruinen, auch ihre Bewohner sind nur noch leere Hüllen, die wie Gespenster durch das trostlose, fast postapokalyptisch anmutende Szenario taumeln und von besseren Zeiten träumen.

 

Die deprimierende Demonstration einer zerfallenden Gesellschaft kleidete Goslings Kameramann Benoît Debie ("Irreversibel") konträr dazu in teils betörende Bilder, die stets das Schöne im Hässlichen suchen und auch finden. Seine inhaltliche Entsprechung findet dieses Konzept in dem Handlungsstrang um die obskure Gewaltshow, deren Teilnehmer Quasi-Hauptfigur Billy schließlich wird: Vor den lüsternen Augen reicher Leute lassen sich schöne Frauen auf der Bühne scheinbar blutigst abschlachten oder verstümmeln sich selbst, was mit tosendem Applaus quittiert wird. Wie das Publikum Gefallen an der Scheußlichkeit findet, so erliegt auch Gosling der Faszination des Morbiden und setzt auf eine ausdrucksstarke, oftmals die Grenze zum Surrealen ankratzende Illustration. Eine Straße, die direkt in einen See führt, auf dessen Grund sich einst eine blühende, mittlerweile in Vergessenheit geratene Stadt befindet, ist eine ebenso starke Metapher für Vergänglichkeit, wie eine alte Dame, die seit Jahren apathisch vor dem Fernseher sitzt und sich die Filme ansieht, in welchen sie als junge Frau an der Seite ihres Mannes spielte. Ein Haus, lichterloh in Flammen stehend, füllt als wiederkehrendes Leitmotiv im regelmäßigem Abstand die Leinwand und wird zum visuell wirkungsvollen Zeichen des Zerfalls.

 

Als Preis für die optische Opulenz geriet die Handlung dabei allerdings arg ins Hintertreffen. "Lost River" liefert lediglich Fragmente und bietet Figuren, denen es trotz aller behaupteten Tiefe an Substanz fehlt und deren Aktionen nicht immer unbedingt schlüssig wirken. Auch die Zuspitzung der Ereignisse entlädt sich unerwartet unspektakulär und dürfte Anhänger althergebrachter Narration nur schwerlich begeistern. Im Vordergrund steht kein klassisches Erzählkonstrukt mit plausiblen Anschlüssen und tadellos funktionierendem Aktion-Reaktions-Prinzip; vielmehr geht es um Eindrücke, um Momentaufnahmen, die sich am Ende zu einem mitunter rätselhaften Gesamtbild verdichten, zu einer Art Fiebertraum zwischen Schlafen und Wachen, einem rauschartigem Trip in eine in gleißende Neonfarben gehüllte Welt der schleichenden Verwesung.

 

Ein gewisses Maß an Prätentiösität bei der Umsetzung lässt sich dabei nicht grundsätzlich von der Hand weisen: "Lost River" wirkt phasenweise wie eine Spielwiese zur hemmungslosen Anwendung verschiedenster Stilmittel und Techniken, bietet verwackelte Handkamera im Wechsel mit in sich zu ruhen scheinenden Endlos-Einstellungen, nervöse Jump-Cuts im Kontrast zu entschleunigten Plansequenzen, experimentelle Ausleuchtungen und eigenwillige Winkel. Manch einem mag das bisweilen ein wenig zu hochtrabend erscheinen, doch in Verbindung mit der subversiven Attitüde und der leicht rebellisch angehauchten Aufbruchsstimmung eines Erstlingswerkes funktioniert das ganz prächtig. Für das breite Publikum ist das natürlich dennoch nichts und war auch nie dafür gedacht. Wer Vergleiche mit Refn sucht, sollte weniger auf den doch eher stromlinienförmigen "Drive" schielen (von dem sich Gosling eigentlich nur den aus seiner Zeit gefallen zu sein scheinenden Retro-Vorspann und den pumpenden Soundtrack abgeguckt hat), sondern viel mehr auf dessen wesentlich sperrigeren Werke wie "Valhalla Rising" oder "Only God Forgives". 

 

Als weitere Inspirationen sind einerseits die grüblerischem Metaphorismen Terrence Malicks auszumachen, andererseits auch die bizarren Alptraumwelten eines David Lynch, der mit "Lost Highway! oder "Mulholland Drive" ähnlich skurrile Irrealitäten zwischen Schein und Sein entwarf, bei denen sich die Abgründe gleichermaßen hinter schöner Fassade verbargen. Bei den Kritikern fiel dieser naseweiße Rundumschlag durch größere Vorbilder überwiegend durch - eher unverdient. Wenn man Gosling unbedingt etwas zum Vorwurf machen möchte, könnte man gewiss anführen, dass ein eigener Stil nicht wirklich erkennbar ist - stünde sein Name nicht im Vorspann, man hielte "Lost River" für eine kleine Fingerübung seines Mentors. Für ein Debüt geriet das Ganze dennoch überaus beachtlich und bietet grundsätzlich, vor allem aber mit Saoirse Ronan ("Hanna") als geheimnisvoll-melancholischer Nachbarin und Ben Mendelsohn ("The Place Beyond The Pines") als herrlich durchgeknalltem Nachtclub-Besitzer, eine vorzüglich ausgewählte und großartig agierende Darstellerpalette.

 

Bisweilen vielleicht ein wenig zu verliebt in die eigene Extravaganz und auch nicht mit durchgängiger Hochspannung gesegnet, ist "Lost River" dennoch ein intensives Leinwand-Erlebnis mit meditativer Sogwirkung und einer gesunden Portion absurden Humors, welche immer mal wieder die grassierende Schwermut durchbricht. Visuell fast ausnahmslos überwältigend und in bemerkenswerter Gewandtheit in Szene gesetzt, erzählt Ryan Gosling als Autor und Regisseur ein elegisches Märchen über eine Handvoll Menschen in einer dahinsiechenden Welt, die zwischen Agonie und Tristesse nach Erlösung suchen - eine eindringliche, knallbunte Reise in die Finsternis, die es verdient hat, nicht in Vergessenheit zu geraten.

 

gesehen von Boris Bertram

 

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