MC18 NOV17x2

Open menu

Social Media Icons Shop 55

 

 

poem 4000

Daten

 

Poem

D, USA 2003

REGIE: Ralf Schmerberg
KAMERA: Robby Müller, Darius Khondij, Franz Lustig, Jörg Schmidt-Reitwein, Nicola Pecori
SCHNITT: Rick Waller
TON: Martin Steyer

 

 

Regie: Ralf Schmerberg

 

So stelle ich mir einen gelungenen Kinoabend vor. Nach 90 Minuten verlässt der, vom eben gesehenen, berauschte Zuschauer mit beeindrucken Bildern im Kopf und wunderschönen Worten im Herzen den Kinosaal. Nicht wie so oft mußte man sich durch mühsame Dialoge und holprige Handlungen quälen, stattdessen erwarten einen bewegende, geheimnisvolle, abstrakte, suggestive, verstörende oder bizarre Bilder voller Magie und Ausdruckskraft.

Dem Problem der fortschreitenden Auflösung der Sprache hat sich der Regisseur Ralf Schmerberg mit "Poem" auf eine ganz eigene und besondere Art gewidmet. Sprache ist hier der einzige Grund weswegen der Film überhaupt existiert. Hier ist sie so lebendig und leuchtend wie es selten der Fall ist.

19 Gedichte von Lyrikern wie beispielsweise Ernst Jandel, Hermann Hesse, Paul Celan, Kurt Tucholsky oder Rainer Maria Rilke bilden die Vorlage für diese Liebeserklärung an die Macht des gesprochenen Wortes. Jedes dieser Gedichte wurde zu einer eigenen visuellen Episode. Namhafte Schauspieler wie Klaus Maria Brandauer, Meret Becker, Jürgen Vogel, Hannelore Elsner, Anna Thalbach oder Richy Müller standen für dieses Projekt vor der Kamera oder rezitierten die lyrischen Werke. Bevor ich mir den Film angesehen habe, konnte ich mir nicht vorstellen, daß man die Kraft der Poesie in einer derartigen visuellen Schönheit und Klarheit umsetzen kann. Doch glücklicherweise irrte ich mich.

Die visuelle Umsetzung der Lyrik sprüht nur so vor Originalität, Ideenreichtum und Mut. Es ist nie die nahe liegendste Lösung und doch könnte sie jeweils nicht treffender gewählt sein. Die oft gegensätzlichen Episoden verlangen dem Zuschauer einiges ab, denn aufgrund der schnellen Abfolge der Geschichten, bleibt keine Zeit das Gesehene wirklich in seiner Komplexität auf sich wirken zu lassen. Mal findet sich der Zuschauer an Schauplätzen wie Island, im Himalaya oder Rio wieder, ein anderes mal in einer Sozialwohnung, in der Jürgen Vogel umgeben von Spielzeug, Chips, einer nervigen Ehefrau und Kindergebrüll einen Proll im ganz alltäglichen Wahnsinn gibt. In einer Episode rezitiert Richy Müller Heiner Müllers Gedicht "Ich kann dir die Welt nicht zu Füßen legen" während man auf mehrere sich entflammende Hochzeitskleider blickt. Doch das Herz des Betroffenen steht nicht in Flammen. Hier findet die Zerstörung der Illusion Liebe statt.

"Poem" ist eine Reise durch die vielen Stationen unseres Daseins. Gefüllt mit Leben, Träumen, Ängsten und Hoffnungen. Die Zuschauerreaktionen waren gemischt. Während einige früher gingen, gab es von anderer Seite Zwischenapplaus. Nach Filmende ging ein vereinzeltes Buhrufen im ansonsten zustimmenden Applaus unter. Ralf Schmerberg, der sich bisher vor allem als Werbefilm- und Musikvideoregisseur einen Namen gemacht hat, musste seinen Film in erster Linie aus Honoraren früherer Aufträge finanzieren, da er mit seiner Idee bei Filmförderern und Redaktionen auf taube Ohren stieß. Deutsche Lyrik im Zusammenspiel mit Film wollte man sich dort scheinbar nicht vorstellen. "Eher hätte ich ein fickendes Pärchen auf dem Alex durchgekriegt als diesen Film", so der entäuschte Schmerberg. Am heutigen Donnerstag läuft der Film bundesweit in den Kinos an. Nicht entgehen lassen!

 

gesehen von Birgit Bagdahn

 

Neu im Shop

Kameraworkshop Banner 8 23 4000

Dokumentarfilm Kurs 4000 small

Weitere neue Artikel

Im Sommer soll der Film on air gehen, der Trailer der ersten Ki gestützten Romantic Love-Story macht einem eher ein wenig Angst...

Tongeschichte: In den 90er Jahren kamen mit professionellen miniaturisierten DAT Geräten wahre Meisterwerke der Ingenieurskunst auf den Markt

Wir haben mit Regisseur Victor Kossakovsky über das dokumentarische Arbeiten und seinen Film "Architekton" gesprochen

Der amerikanische Hersteller produziert seit Jahrzehnten hochwertige Profi-Funkstrecken und sogar Soundrecorder, die den Funkempfang gleich eingebaut haben

Ein neues, medienübergreifendes Genre schickt sich an, auch das Kino zu erobern. Was steckt dahinter?

Was bedeutet es für die Bildsprache, wenn die Kamera senkrecht von Oben nach unten filmt?

Beeindruckende Aufnahmen an ganz besonderen Orten einfangen,- die besten Tipps für Naturfilmer und Naturfotografen

Ausgelaufene Batterien machen immer wieder Geräte oder Fernbedienungen unbrauchbar. Wir zeigen Euch, wie man sie wieder instand setzt

Wer eine inszenierte Szene im Vornherein planen möchte, kann dies in Form eines Floorplans tun. Wir erklären Euch, wie das funktioniert

Wie kam es, dass so ein kleines Filmland wie Dänemark in den Achtziger,- und Neunzigerjahren so mutig und radikal war?

Warum Hotels schon immer die Fantasie von Drehbuchautor*Innen angeregt haben und welche Welt-Klassiker in Hotels spielten...

Das Selbsterlebte in Form von Filmen zu verarbeiten verlangt Filmemacher*Innen manchmal sehr viel ab