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Francofonia

Daten

87 Min., Deutschland, Frankreich, Niederlande 2015

REGIE: Aleksander Sokurov
DREHBUCH: Aleksander Sokurov
KAMERA: Bruno Delbonnel
SCHNITT: Alexej Jankowski, Hansjorg Weissbrich
MUSIK: Andre Rigaut, Jac Vleeshouwer
KOSTÜME: Colombe Lauriot Prevost

DARSTELLER: Louis-Do de Lencquesaing, Benjamin Utzerath, Vincent Nemeth, Johanna Korthals Altes etc.

Foto: hoehnepresse-media

 

Regie: Aleksander Sokurov
Kinostart: 3. März 2016

Inhalt:

 

Was passiert in Zeiten des Krieges mit dem größten Schatz der menschlichen Zivilisation, nämlich den Kunstwerken in Museen? Diese Frage ist der Ausgangspunkt für den philosophischen Gedankengang des Erzählers in „Francofonia“, der vom Regisseur Alexander Sokurov selbst gesprochen wird. Dafür betrachtet der Erzähler ein besonders hervorstechendes Beispiel für den fürsorglichen Umgang mit Kunst in der Geschichte: Die deutsche Besetzung Frankreichs im zweiten Weltkrieg. Der Leiter des „Kunstschutzes“ Franz Graf Wolff Metternich (BENJAMIN UTZERATH) wird nach Paris entsandt, um die „eroberten“ Kunstwerke zu verwalten. Als studierter Historiker und Kunstliebhaber hat Wolff Metternich eine so große Achtung vor den Kunstschätzen im Louvre, dass er mit dem Kurator Jacques Jaujard (LOUIS-DO DE LENCQUESAING) kooperiert und sich weigert, die von den Franzosen in entlegene Schlösser fortgebrachten Gemälde zu konfiszieren und an das Deutsche Reich zu übergeben.

Dies ist jedoch nur der auf historischen Begebenheiten beruhende, fiktionale Kern dieser trance-haften essayistischen Erzählung. Umwoben wird dieser Kern von schwebenden, mit einer Drohne gefilmten Aufnahmen des heutigen Paris, von Wochenschaumaterial, das die deutschen Okkupanten in Paris zeigt, von surrealistischen Szenen, in denen Napoleon und Marianne zum Leben erwachen und sich durch den Louvre bewegen, und v.a. von Detailaufnahmen einiger dort ausgestellter Kunstwerke.


 

Kritik:

 

Wie bei einer Zwiebel pellt sich der Film Schicht für Schicht durch die Zeit und durch die verschiedenen Erzählebenen. Am Anfang wird der Zuschauer in Sokurovs Büro eingeschleust, in dem der Regisseur ein Skype-Gespräch mit seinem niederländischen Freund Dirk führt. Dirk transportiert Kunstschätze eines Museums mit einem Frachtschiff über ein unruhiges Meer. Das Meer und seine Unberechenbarkeit dienen durch den gesamten FIlm immer wieder als Metapher für die „Umweltkatastrophen“, die über die Zivilisation und über Museen wie dem Louvre einbrechen. Und obwohl diese Metapher recht plakativ ist, wirken die Bilder durch den Off-Text des Erzählers alles andere als banal.

 

Darauf reist der Autor in seinen Gedanken in die Vergangenheit zurück. Den Schrecken und die Hilflosigkeit, die die Menschen während der beiden Weltkriege zu Beginn des 20. Jahrhunderts empfunden haben, stellt der Regisseur auf eine raffinierte und ungewohnte Art und Weise dar, nämlich durch Stille. Mehrmals zeigt er Bilder des verstorbenen Graf Tolstoi und des entschlafenen Anton P. Tschechow und immer wieder fordert er sie auf, aufzuwachen, als würde er hoffen, Tolstoi könnte mit seiner Weisheit und Tschechow mit seinem Humor die Welt aus der verfahrenen Situation erretten. Aber die beiden Toten schweigen.

 

Obwohl Sokurov auch in diesem Film nicht ohne Anspielungen auf die russische Literatur und Kultur auskommt, dreht sich „Francofonia“, wie der Name schon suggeriert, zentral um das französische Kulturerbe, den Louvre. Das Museum und seine Werke sind die Protagonisten des Films. Der Architektur, den Gemälden und den Skulpturen gilt hier die ungeteilte Aufmerksamkeit. Von ganz besonderer Liebe zur Kunst sind dabei die Detailaufnahmen und die Kameraführung des großen Bruno Delbonnel („Die fabelhafte Welt der Amelie“ (2001), „Faust“ (2011) etc.), der die Kunstwerke abfährt und aus ungewohnten, jedoch enthüllenden Winkeln zeigt, während Sokurov im Off über die Geschichte Europas und die Idee der Menschheit sinniert, gezeichnet. Die gleitenden Aufnahmen zusammen mit der unaufdringlichen, von Leidenschaft zur europäischen Kultur erfüllten Stimme des Regisseurs versetzen den Zuschauer in einen meditativen Zustand und erwecken die Lust, mehr zu erfahren, weiter einzudringen in die Geschichte der französischen Kultur, zu den Anfängen der europäischen Zivilisation.

 

Eine weitere, nun „fiktionale“ Schicht, zu der der Erzähler gelangt, zeigt, wie sich die Begegnung zwischen Jaujard und Wolff Metternich zugetragen haben könnte. Einzelne im Film verstreute Sequenzen veranschaulichen die Interaktion der beiden Männer. Die Szenen sind visuell scharf von den Szenen anderer narrativer Schichten getrennt: Die Aufnahmen flackern im Stil alter Filme, es sind Löcher der Filmtransportrolle zu sehen und am linken Seitenrand verläuft eine sichtbare Tonspur. Es ist eine Darstellung, die bereits aus Sokurovs „Sonate für Hitler“ (1979) bekannt ist und als Desillusionierung dient. Do de Lencquesaing und Benjamin Utzerath gelingt eine subtile, natürliche Spielweise, die die innerlich zwiespältige Beziehung der Männer zueinander überzeugend vermittelt. Beide sind angespannt und unsicher in ihrer Kommunikation, da sie sich ihrer politischen Feindschaft bewusst sind. Beide verbindet zugleich die Liebe zur und die innere überzeugte Verantwortung vor der europäischen Kunst. Dies treibt Jaujard und Wolff Metternich dazu an, im stillen Einvernehmen zum Schutz der Werke zu handeln.

 

„Francofonia“ wurde als Nachfolger des one-take Museumfilms „Russian Ark“ (2002) antizipiert und enthält viele für Sokurov typische Elemente. So arbeitet Delbonnel auch hier oft mit einer Steadicam und Handkamera, was dem Bildfluss eine schwebende Wirkung verleiht. Auch in diesem Film wird der Langsamkeit der Bewegung, der tarkovskij‘schen Ruhe im Bild und im Text eine große Bedeutung beigemessen. Auch das morbid anmutende leise Ächzen und Flüstern Napoleons im Hintergrund ist ein Stilmittel, das auch in „Moloch“ (1999), „Taurus“ (2001) und „Faust“ (2011) zu hören ist. Diese Geräusche tragen zur hypnotisch-fieberhaften Wahrnehmung der Bilder bei.

 

Von anderen Werken des russischen Regisseurs, die oftmals von künstlerischer Schwere gezeichnet sind, unterscheidet sich „Francofonia“ jedoch maßgeblich. Es kommen keine quälenden Szenen vor, die sonst für Sokurov so typisch sind. Trotz der düsteren Thematik wirkt der Film relativ sanft und schwerelos dank der lichtdurchfluteten Aufnahmen, die im Gegensatz zu anderen Arbeiten weitgehend harmlose Bilder liefern. Eine besondere Leichtfüßigkeit erfährt der Film vor allem durch komödiantische Einschübe. So gibt Napoleon eine Karrikatur seiner Selbst ab, indem er vor jedem Bild, auf dem er zu sehen ist, stehenbleibt und „C’est moi!“ („Das bin ich!“) ausruft. Die Original-Wochenschaubilder von Hitlers Besuch in Paris nach der Besetzung Frankreichs synchronisiert Sokurov auf eine so humorvolle Art und Weise, dass es schwer fällt, ein Schmunzeln zu unterdrücken.

 

In diesem Film wird die rührende Liebe des Autors zum Louvre und der französischen bzw. europäischen Kunst augenscheinlich. Kaum ein westlicher Regisseur bringt so viel Hochachtung vor der europäischen Kultur und ihren Kunstschätzen auf. Und dennoch wird am Ende des Films mit den schief-verzerrten Klängen der russischen Hymne klar, dass Sokurov „Francofonia“ auch Russland widmet und seiner Angst vor dem zivilisatorischen und kulturellen Verfall seiner Heimat, gegen den er bereits seit Jahren anzukämpfen bestrebt ist.

 

Der Abspann wird in „Francofonia“ am Anfang gezeigt. Der Film hört dadurch ohne den typischen Ausklang auf und konfrontiert den Zuschauer direkt mit seinen Gedanken und Eindrücken. Empfehlenswert ist „Francofonia“ für all jene, die sich gerne von der Begeisterung Sokurovs für die Kunst mitreißen lassen, und sich ebenso leidenschaftlich wie der Erzähler selbst philosophischen Gedankengängen und komplexen Impressionen stellen.

 

Gesehen von Anna Cvetkov

 
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Sokurovs Film „Francofonia“ dreht sich um die Geschichte des Louvres, vor allem und die Zeit nach der Eroberung Paris durch die deutschen Nationalsozialisten. Im Zentrum der Geschichte stehen dabei Graf Metternich, der Kunstkonservator des Dritten Reichs und Jacques Jaujard, der Leiter des Louvres. Durch eine kunstvoll zusammengeführte Filmcollage sind jedoch auch der Regisseur selbst im Skypegespräch mit einem befreundeten Frachtschiffskapitän, die Französische Revolution und  Napoleon, sowie Originalaufnahmen von Hitler, einer belagerten russischen Stadt und Fotos von großes russischen Denkern wie Tolstoi, von Bedeutung. Durch die verschiedenen Ebenen wird der Krieg um die Kunstwerke deutlich gemacht und von verschiedenen Seiten beleuchtet. Viel mehr im Vordergrund stehen aber die Kunstwerke selbst und der Louvre als Teil davon.

 

Für einen „Sokrov“-Laien wirken einige Szenen jedoch zu abstrakt und sinnlos. Wenn die Französische Revolution, angezogen wie die Freiheit in einem Bild Delacroixs (das auch im Louvre hängt) und Napoleon ein wenig miteinander streiten, dafür jedoch nur ihre Wahlsprüche verwenden (Legalité, Egalité, Fraternité und C’est moi), dann erschließt sich dafür bei mir kein Sinn. Spätestens beim zehnten Mal Fraternité kommt man sich wie bei einer dieser unverständlichen Theaterstücke, denen Männer Metallstöcke an Latten dreschen, vor, die manchmal bei Arte laufen. (Welche Ironie, Arte ist Koproduzent).

 

Was den Film jedoch ausnehmend gut macht, ist seine sanfte Art und Weise von einer derart harten Zeit des Krieges zu erzählen. Durch die eben beschriebenen verschiedenen Ebenen wird das ganze aufgelockert und lässt keine Zeit für Verdruss, weil ständig zwischen den parallellaufenden Geschichten hin und her gesprungen wird. Achtung: Leicht bedeutet nicht gleich heiter. Lustige Momente sind nur vereinzelt im Film verstreut.

 

Durch die Kameraarbeit entsteht jedoch eine gewisse Distanz, sie schwebt eher über die Ereignisse hinweg, der Zuschauer bleibt unantastbar. Gerade wenn der Rahmen und die Tonspur im Bild zu sehen sind, wirkt es so, als wäre man sehr weit von den Geschehnissen entfernt, als hätte man die Aufnahmen in einer verstaubten Box auf dem Dachboden gefunden. Nah ist der Film nur, wenn der Erzähler die vierte Wand durchbricht und mit einem der Rollen oder dem Publikum interagiert. Das macht auch die Leichtigkeit des Filmes aus und gibt ihm einen angenehmen Aspekt, den man selten in Filmen hat.  

 

„Francofonia“ ist kein Durchschnittsfilm und bewegt sich auf einem anderen Level als die meisten Filme, gefangen zwischen Dokumentarfilm und Spielfilm. Das macht seinen Reiz aus und ihn so empfehlenswert… Schaut ihn euch an!

 

Gesehen von Theresa Koehnsen.

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