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Jeder Mensch erlebt einmal in seinem Leben die Begegnungen dieser besonderen Art, bei der alles von vorne herein zu stimmen scheint. Obwohl der Mensch, den man soeben getroffen hat, faktisch ein Fremder ist, entsteht sofort eine intime Vertrautheit, die sonst nur über Jahre wachsen kann. Diese Art der geistigen Übereinkunft erzeugt einfach ein gegenseitiges Glücksgefühl, es macht geradezu süchtig nach noch mehr Gesprächsstoff, um der bisher ungeahnten Ungezwungenheit freien Lauf lassen. Der Regisseur Richard Linklater muss wohl solche Erfahrungen gemacht haben. Bereits 1993 drehte er die Liebesgeschichte "Before Sunrise", eine romantische Begegnung zweier junger Reisender in Wien, die mit eben diesem Charme und Witz inszeniert wurde. "Before Sunset" ist nun der Folgefilm, der im diesen Jahr im Wettbewerb der Berlinale läuft.

Die Geschichte spielt dieses Mal nicht in Wien, sondern in Paris. Céline (Julie Delpy) hat aufgrund des Todes Ihrer Großmutter das vereinbarte Treffen in Wien verpasst und sich auf diese Weise darauf eingestellt, Jesse (Ethan Hawke) nie wieder zu sehen. Neun Jahre nach der ersten Begegnung treffen sie jedoch wieder aufeinander. Jesse ist inzwischen verheiratet und als Schriftsteller tätig. Bei einer Lesung seines neuen Romans, der eben die vergangene Begegnung in Wien verarbeitet, sitzt Céline im Publikum. Als sich beide Blicke zum ersten Mal treffen, wird klar, dass die alte Zuneigung und Anziehungskraft lebendig geworden ist. Jesse hat eigentlich nach der Lesung nur wenig Zeit, sein Flug geht fünf Stunden später und der Chauffeur steht schon bereit. Dennoch er nimmt sich Zeit für Céline, geht mit ihr ins Café, spaziert an der Seine, unternimmt eine Schiffsfahrt, nur um den unvermeidlichen Abschied Stück für Stück aufzuschieben. Die Trennung und die Kürze der verbleibenden Zeit ist jedoch nie eine Last. In unglaublichen Dialogen zelebriert Richard Linklater eine Koloratur aus Leichtigkeit und Unbeschwertheit, wie sie bisher nur selten erreicht wurde. Céline und Jesse sprechen über alles, über die Beziehung zwischen Mann & Frau, Kindheit, Gott, die Liebe, Freunde, Amerika & Frankreich, die Selbständigkeit im Paar oder die Gefühle zueinander. Es ist das ehrlichste, spontanste, was Sprache bieten kann. Céline und Jesse nutzen intensiv die kurze Zeit und vermitteln auf diese Weise nie eine Distanz zueinander. Sie sind bereit, sich gegenseitig zu öffnen, beschreiben auch jene Nacht, die ihr Leben verändert hat. Die gemeinsame Zeit in Wien war, so Céline, derart intensiv, dass sie wie eine Illusion wirkt. Realität und Liebe scheinen seither zwei verschiedene Dinge zu sein. "Die Nacht, die alle Träume verwirklichte, stellte alles Nachfolgende in den Schatten, so dass selbst das Lieben nun langweilig erscheint." Das ist Poesie, wie sie nur das Leben schreiben kann. Der Zuschauer ist während dessen ein stiller Beobachter. Es scheint fast so, als sehe er eine Dokumentation. Richard Linklater hat "Before Sunset" in Echtzeit gedreht. Er verzichtet beinahe vollkommen auf Perspektivwechsel und verfolgt, z.T. über mehrere Minuten, ungeschnitten den fortschreitenden Dialog. Der Fokus liegt bei Linklater allein auf der Sprache und dem Fluss der Dinge, die in keiner Weise vom Wesentlichen ablenken. Céline merkt am Ende an, Jesse werde noch sein Flugzeug verpassen. "I know", gibt er zur Antwort und beschließt damit den Film. Er ist ein Kunstwerk der Stilistik und Dramaturgie und entwickelt dabei die unglaublichte Wirkung einer atmosphärischen Simplizität. Bravo Monsier Linklater.

 

gesehen von Bogdan Büchner

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