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Im italienischen Kino gab es eine Phase, die aus der Not geboren, einige der genialsten Filme der Filmgeschichte hervorgebracht hat...

Die italienischen Regisseure konnten während des zweiten Weltkriegs nicht mehr in den gewohnten Filmstudios drehen, weil diese erst bombardiert und ab 1945 von Flüchtlingen als Notquartiere der Alliierten benutzt wurden. So waren sie gezwungen, um weiter Filme drehen zu können, etwas zu tun, was damals auch auf Grund der Technik eher ungewöhnlich war,- an Originalschauplätzen drehen. Das bedeutete Außen, unter freiem Himmel und in echten Wohnquartieren. Und weil ihre Geschichten sehr besonders waren und sich für die einfachen Leute, die ärmlichen Milieus interessierten, drehte man in einfachen, oft beengten Umgebungen. Weitere typische Motive waren einfache Gasthäuser, offene Landstraßen, Jahrmärkte, Gehöffte, Meeresstrand oder zerklüftete Landschaften.

Die Geschichten der Drehbücher entsprangen den politischen, sozialen und realen Lebensverhältnissen der Menschen. Die Wirklichkeit, die man zeigte, war ungeschminkt und ungeschönt. Im Mittelpunkt standen Tagelöhner, Arbeiter, Fischer, Bauern, Hilfsarbeiter und ihre Familien, die mit Existenzängsten, sozialen Rückschlägen und dem Kampf ums nackte Überleben zu tun hatten.

Es gab keine staatliche Filmförderung, das Geld für die Herstellung der ersten neorealistischen Filme wurde mühsam zusammengekratzt. Und natürlich bedingte das Fehlen der Studio-Infrastruktur auch dass man mit weniger Licht auskommen musste. Doch genau das war ein Teil des visuellen Stils.

Während zuvor in Italien wie auch in der übrigen Welt Kinofilme einen gewissen Starkult pflegten, die Filmfiguren überhöhten und Projektionsflächen für die Träume des Publikums anboten, hatte der Neorealismus einen gänzlich anderen Ansatz. Für die Erzählweise wurden Objektivität und Neutralität mit fast dokumentarischen, ungeschönten Bildern zur wichtigsten Grundlage. Wichtige Themenbereiche waren die Armut und faschistische Unterdrückung der einfachen Leute, der Arbeiter und der Bauern. Auch in anderen Bereichen der Kunst, etwa der Literatur und der Fotografie gab es in Italien eine neorealistische Bewegung.

 

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Zugleich klagten die Filme auch die finanzielle Ungerechtigkeit im faschistischen Italien Mussolinis an, Ideen des Marxismus und Kommunismus lagen unausgesprochen unter der Oberfläche der meisten Filme. Und gleichzeitig waren sie auch ein deutlicher Widerspruch gegen das zuvor etablierte unrealistische Unterhaltungskino. Wichtige Begründer des Neorealismus waren Vittorio De Sica., Roberto Rossellini, Federico Fellini, Luigi Zampa und Luchino Visconti. Erstaunlicherweise konnten die Vordenker des neorealistischen Films, wie etwa Umberto Barbaro oder die vorgenannten Regisseure, obwohl sie sich in ihren Filmen durchaus deutlich gegen die faschistische Diktatur äußerten, relativ frei ihre Drehbücher entwickeln und auch erste Filme wie "Ossessione", der im Jahr 1942 gedreht wurde, verwirklichen.

Warum das so war, kann nur vermutet werden. Der Sohn Mussolinis, Vittorio, war seit 1940 Herausgeber der Filmzeitschrift Bianco det Nero, welche sich lautstark gegen die oberflächlichen Unterhaltungsfilme wie "Telefoni Bianchi" wandte und ein wahrhaftigeres Kino einforderte.

 

Vorbilder

Die Grundhaltung der Filme war keine Erfindung der italienischen Regisseure,- die Franzosen (Marcel Carné, Jean Vigo, Jean Renoir, René Clair u.a.) hatten es ihnen mit dem "Poetischen Realismus" der 30er Jahre vorgemacht. Ihre Filme erzählten von Menschen und ihren Sehnsüchten in einer ungerechten, leidvollen und ungerechten Welt, ihre Protagonisten waren Enttäuschte, waren Einzelgänger  aus einfachen Verhältnissen. Luchino Visconti war sogar, bevor er selber Filme machte, als Regieassistent von Jean Renoir bei den Filmen "Toni" (1934) und "Partie de campagne" (1935) in Frankreich tätig.

 

Besonderheiten

Doch der Neorealismus Italiens brachte eine sozialkritischere Komponente mit ein und erlaubte den Zuschauern dadurch viel intensivere Identifaktion. Ein wichtiger Unterschied zu den französischen Vorbildern war sicherlich auch, dass man anfangs nicht mit berühmten Schauspielern sondern mit eher unbekannten Nachwuchsschauspielern und auch mit Laien drehte. Einige von ihnen, etwa Anna Magnani, Silvana Mangano, Vittorio Gassmann, Eduardo De Filippo, Alberto Sordi oder Marcello Mastroianni wurden durch die Filme weltberühmt.

Auch der Dokumentarfilm war,- in seinen positivsten Ausprägungen, Vorbild für die Neorealisten. Roberto Rosselini etwa, war zunächst Dokumentarfilmer, bevor er seine ersten neorealistischen Spielfilme inszenierte. Er arbeitete auch beispielsweise an dem Anfang der 40er Jahre entstandenen "Uomini sul fondovon" von Francesco De Roberti mit, ein Spielfilm über die Rettung einer in Seenot geratenen U-Boot Besatzung mit deutlichen dokumentarischen Stilmitteln.

 

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Wichtige Werke des Neorealismus

Besessenheit (Ossessione) (Luchino Visconti., I 1943)

Rom, offene Stadt (Roma, città aperta) (Roberto Rossellini, I 1945)

In Frieden leben (Vivere in Pace) (Luigi Zampa, I 1946) 

Schuhputzer (Sciuscià) (Vittorio De Sica, I 1946)  

Fahrraddiebe (Ladri di biciclette) (Vittorio De Sica, I 1948)

Schwierige Jahre (Anni difficili) (Luigi Zampa, I1948)

Die Erde bebt (La terra trema) (Luchino Visconto I 1948)

Bitterer Reis (Riso amaro) (Giuseppe De Santi, I 1949)

Stromboli (Roberto Rosselini, I 1949)

Vendetta (Non c'è pace tra gli ulivi) (Pietro Germi, I 1950) 

Belissima (Luchino Visconti, I 1951)

Das Wunder von Mailand (Miracolo a Milano) (Vittorio de Sica, I 1951)

Die Müßiggänger (I Vitelloni) (Federico Fellini, I 1952)

Sehnsucht (Senso) (Luchino Visconti, I 1954)

Das Lied der Straße (La Strada) (1953–1954)

 

Die so andersartigen Filme der italienischen Regisseure wurden nicht nur im eigenen Land, sondern weltweit mit großer Begeisterung aufgenommen. Die Idee des Neorealismus hat sich im Laufe der Jahre verändert. So kamen in seiner Spätphase plötzlich nicht nur die einfachen Menschen, sondern auch die wohlhabenden, die schillernden Figuren der High Society in den Filmen vor. Diese Verschiebung nennt man "Pink Neorealism",- eine durchaus kritisch betrachtete Verwässerung der ursprünglichen Grundgedanken. Eines der bekanntesten Beispiele ist Federico Fellinis "La Dolce Vita".

Einige der Filme aus dieser Epoche des Italienischen Kinos gehören zu den besten Filmen der Filmgeschichte. Man sollte sie unbedingt gesehen haben, wenn man selber Filme machen möchte, wenn man das Kino liebt oder einfach starke Geschichten sehen möchte.

 

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Don Camillo

Sie werden wegen ihres heiteren Charakters selten in diesen Zusammenhang gestellt. Doch auch die eher als Unterhaltungskino gedachten Komödien aus der Reihe "Don Camillo und Peppone" (Regie: Julien Duvivier) waren durchaus vom Geiste des Neorealismus geprägt. Die entstandenen Spielfilme mit Fernandel und Gino Cerviin der Hauptrolle waren:

Don Camillo und Peppone (Don Camillo) (Julien Duvivier, I 1952)

Don Camillos Rückkehr (Il ritorno di Don Camillo) (Julien Duvivier, I 1953)

Die große Schlacht des Don Camillo (Don Camillo e l’onorevole Peppone) (Carmine Gallone, I 1955)

Hochwürden Don Camillo (Don Camillo Monsignore…ma non troppo) (Carmine Gallone, I 1961)

Genosse Don Camillo (Il compagno Don Camillo)  (Luigi Comencini, I 1965)

Ein weiterer Film der Reihe, "Don Camillo und die Jugend von heute" (Don Camillo e i giovani d’oggi) wurde 1970 begonnen, konnte aber nicht fertiggestellt werden, weil Fernandel wegen einer Lungenkrebserkrankung nicht mehr weiterdrehen konnte.