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Der Mongolevon Sergej Bodrov Kinostart: 7. August 2008
Wenn man den Film verlässt,
ist man ein wenig enttäuscht, auch, in vielleicht demselben Maß, überrascht.
„Der Mongole erzählt die
Geschichte des Aufstiegs des jungen Temudzhin zu einem der größten
Stammesführer der Geschichte: Dschingis Khan“, ließt man in der
Presseankündigung. Nach guten 100 Minuten Spieldauer allerdings beginnt
man sich besorgt zu fragen, wann es denn nun endlich beginnt mit dem
Aufstieg? Man ahnt, dass der Film nicht mehr ewig dauern kann und ist
schon verblüfft, wie viel Zeit sich der Regisseur immer wieder für diese
und jene Szene nimmt, ohne dass Temudzhin irgendwelche erfolgreichen
Schritte unternimmt, endlich zu Dschingis Khan zu werden. Am Ende
bewahrheitet sich dann die düstere Vermutung, dass der Film mit einem
letztendlichen Schnitt arbeitet, der mehrere Jahre überspringt: Noch
wenige Augenblicke zuvor hat man den einsamen Temudzhin gesehen, wie er
sich in den grünen Graslanden von seiner Frau und seinen Kindern
verabschiedet, um seine Aufgabe in der Welt, so oder ähnlich drückt er
sich aus, zu erfüllen. Er wisse, was dem Volk der Mongolen fehlt, und
wenig später erfährt der Zuschauer dann auch, was: Temudzhin möchte
einheitliche Gesetze und er werde dafür sorgen, dass sich die Mongolen
daran halten, „selbst wenn ich die Hälfte von ihnen dafür töten muß“.
Der in der Presseankündigung versprochene Inhalt jedoch reduziert sich
letztendlich auf einige Sekunden, in denen eine Off-Stimme erläutert,
dass es Temudzhin schließlich gelang, die mongolischen Stämme zu
vereinen. Und was ist in den
mehr als hundert Minuten vorher passiert? Regisseur Sergej
Bodrov scheint es zuallererst um etwas ganz anderes gegangen zu sein, als
den Aufstieg Temudzhins zu veranschaulichen. Er
selbst lernte die Figur des Dschingis Khan zunächst sehr negativ
gezeichnet in der Schule kennen, eine Sicht, die sich später mit einer
vertieften Lektüre änderte. Zwar meint auch Bodrov, dass eine der
Fragen, die ihn veranlasste, den Film zu drehen, jene war, wie aus
Temudzhin Dschingis Khan werden konnte, aber er überträgt dies im Film
auf eine andere Ebene. Ihm geht es eher darum, aufzuzeigen, warum es gerade
Temudzhin war, dem es schließlich gelang, die mongolischen Stämme zu
vereinen. Und hierzu erzählt er teilweise die Geschichte eines Mannes,
der beginnt, anders zu handeln, als man es von ihm erwartet. Temudzhin
erweist sich gerechter und loyaler gegenüber seinen Untergebenen und
seiner Familie, als es bei den Mongolen Sitte war. Er befreit seine Frau
aus der Gefangenschaft eines anderen Stammes, obwohl Mongolen wegen einer
Frau keinen Krieg beginnen. Er akzeptiert die Kinder, die seine Frau von
anderen Männern bekam, als seine eigenen. Er beginnt über die Grenzen
der immer wieder aufflackernden Stammesfehden hinaus zu denken. Und am
Ende, während der entscheidenden Schlacht gegen seinen Blutsbruder und größten
Rivalen Jamukha thront er auf seinem Pferd über seinen Feinden, ein
schrecklicher Sturm tobt und seine Feinde fliehen vor dem Donner. Ein wenig ermüdet
diese Struktur, die der Geschichte des Films unterliegt, nach einer Weile:
Temudzhin wird seit seiner frühen Kindheit immer wieder verfolgt,
gefangengenommen, und immer wieder gelingt ihm die Flucht. In dieser Zeit
ohne jeden Schutz, so sagt er später, habe er die Angst vor dem Donner
verloren. Letzten Endes ist dies ein Bild welches Bodrov entwirft:
Temudzhin als jener Mann, der über das, was alle Mongolen fürchten, zu
herrschen scheint. Problematisch ist, dass es eben, in jener letzten
Schlacht, in der Temudzhin seinem Blutsbruder hoffnungslos unterlegen ist,
auch nur als Bild funktioniert, nicht aber als Erklärung dafür, dass er
diesen Kampf tatsächlich, ohne jede Gegenwehr, gewinnt. Man hat das Gefühl, dass dieses plötzliche Ende nicht nur der Tatsache geschuldet ist, ein Bild für den letztendlichen Triumph und für die Gestalt des Dschingis Khan zu entwerfen, sondern auch aus rein finanziellen Gründen eine Rolle spielt. Die ersten Momente der Schlacht sind recht beeindruckend gefilmt: Endlos lange Reihen von Reitern mit Fellmützen und langen, schweren Speeren, eine kühle Landschaft und düstere Farben. Es folgen einige schöne Aufnahmen, ehe dann aber das Ganze mit dem plötzlich aufziehenden Gewitter abrupt abbricht. Dies ist wieder ein Moment, der ein wenig enttäuscht und den man in seiner Logik nicht so recht glauben möchte, denn eigentlich hätten Temudzhins Krieger, die ja auch Mongolen waren, ebenso fliehen müssen. Diese Willkür trifft auch auf
einige Handlungsstränge im Film zu, die man sich nur schwer erklären
kann. Nachdem Temudzhins Frau Borte von einem feindlichen Stamm entführt
wurde, sucht Temudzhin Hilfe bei seinem Blutsbruder Jamukha. Sie brechen
auf in das Gebiet jenes Stammes und es kommt zu einem Kampf, wobei etwa
auf jeder Seite einige Dutzend Krieger stehen. Wenig später, als es
zwischen Temudzhin und Jamukha bereits zu Auseinandersetzungen gekommen
ist, verfolgt der Zuschauer eine kleinere Schlacht, bei der Jamukha ein
Heer von mehreren hundert Reitern anführt. Obwohl er sich mit einem
anderen Khan verbündet hat, begegnet man plötzlich vollkommen anderen
Zahlenverhältnissen. Der Film legt überhaupt keinen Wert darauf, dem
Zuschauer zu erklären, woher diese vielen Krieger plötzlich kommen oder
warum auch Temudzhins Sippe aus dem Nichts heraus aufeinmal so unglaublich
ansteigt, dass er über gut vierzig Krieger verfügt, obwohl es vorher nur
eine Handvoll gewesen waren. Es wäre schön
gewesen, die Verflechtung, die zwischen den einzelnen Stämmen der
Mongolen bestand, die auch immer wieder zu neuen Bündnissen und Intrigen
führte, ein wenig mehr zu veranschaulichen und in die Geschichte
einzubinden. Dann wäre es vielleicht auch verständlicher gewesen, den
Schnitt am Ende nachzuvollziehen. Ganz einsam und alleine zieht Temudzhin
hinaus in die Graslande und einige Momente später ist er, obwohl ihm das
jahrelang überhaupt nicht gelang, einer der beiden bedeutendsten Heerführer
der Mongolen. Ein wenig verwirrend ist auch die Haltung des Filmes zu seinem Haupthelden. Es ist sicherlich gut, die Klischees über einen Menschen wie Dschingis Khan in Frage zu stellen, trotzdem bleiben unglaubliche Greueltaten, die unter seiner Herrschaft begangen wurden. Auch ermordete er, lange bevor er an Einfluß gewann, einen seiner Brüder, was in dem Film nicht im Ansatz erwähnt wird. Ebenso erscheint die plötzliche Härte, die Temudzhin im Film mit der Äußerung, den Tod der Hälfte der Mongolen in Kauf zu nehmen, wenn er nur einheitliche Gesetze durchsetzen könne, kaum nachvollziehbar und nicht zur Gestalt des im Film entworfenen, an sich sympatischen Temudzhin passend. Ein wenig (obwohl man ja weiß, was noch geschehen muß) ist man erstaunt, dass er am Ende hinaus in die Graslande reitet. Irgendwie hätte man, seiner Schilderung im Film zufolge, eher erwartet, dass er bei seiner Frau und seinen Kindern bleiben würde. In dieser Hinsicht bleibt die Gestalt des Dschingis Khan im Film sehr unglaubhaft und es wird nicht ersichtlich oder auch nur angedeutet, was ihn eigentlich dazu trieb, nicht nur die Mongolen zu vereinen, sondern zudem später mit großer Härte ein Reich zu erschaffen, wie es es bis heute nicht mehr gegeben hat. Doch trotz seiner Schwächen und ohne
in der Kameraführung, in der Musik oder hinsichtlich der
Geschichte wirklich Maßstäbe zu setzen, setzt sich „Der Mongole"
wohltuend von den üblichen historischen und phantastischen Filmen, die nun im Zuge der
Verfilmungen des „Herrn der Ringe“ gemaßschneidert wurden, ab. Bodrovs
Geschichte läuft vielen Erwartungen, im Guten wie im Schlechten, entgegen und
bestätigt sie auch hier und da. Es ist kein Film, aus dem man wirklich
zufrieden oder berührt herausgeht, aber er liegt weit über dem
Durchschnitt dessen, was in den letzten Jahren in ähnlicher Hinsicht in
den Kinos lief. Vielleicht sollte man einen solchen Film sowohl textlich
als auch visuell ein wenig ehrlicher ankündigen, damit der Zuschauer letzten Endes nicht,
wie geschehen, mit vollkommen falschen Erwartungen ins Kino geht und die
Geschichte so verfolgen kann, wie sie es eigentlich verdient.
Gesehen von Paul Mittelsdorf |
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