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Meine keine Familie Regie: Paul Julien Robert
Ein Film über Mutter und Väter.
Nach der 68er-Bewegung entstanden in diversen Städten Europas Lebensgemeinschaften, die versuchten sich der gesellschaftlichen Norm der damaligen Zeit zu widersetzen. Gemeinschaftseigentum, freie Sexualität, Auflösung der Kleinfamilie, - das waren die Grundprinzipien. Der Friedrichshof, im österreichischen Burgenland war die damals größte Kommune in Europa. Ab 1973 lebten dort bis zu 700 Menschen und strebten nach einer neuen Gesellschaftsform. Otto Muehl, ein österreichischer Aktionskünstler, war der Kopf hinter dem System. Dieser gründete die Aktionsanalytische Organisation (AAO), welche die Abschaffung der Zweierbeziehung postulierte und zunehmend autoritäre Strukturen entwickelte. Die Kommunarden bewunderten und unterstützen ihn ohne jeglichen Zweifel, was zu Otto Muehls Abgehobenheit führte. Er fing an seine Macht zu missbrauchen und es entwickelten sich Hierarchien, nahezu höfische Strukturen in der Kommune. Man verlor den Bezug zur Realität. Die Kinder, die in die Gemeinschaft hineingeboren wurden, waren von der Außenwelt komplett abgeschottet. Sie wussten nicht wie sich ein "normales" Leben anfühlt und hatten nach der Auflösung der Gemeinschaft im Jahre 1990 große Schwierigkeiten sich der gesellschaftlichen Norm anzupassen. Paul Julien Robert, Regisseur des Films, war einer dieser Kinder. Er lebte bis zu seinem zwölften Lebensjahr im Friedrichshof. Er bekam seine Mutter kaum zu sehen, da diese unter der Woche mit dem Verkauf von Steuersparmodellen und Finanzanlagen Geld für die Kommune in Zürich verdiente. Wer sein Vater war, wusste er damals nicht. Seine Familie war eine Gruppe von mehreren hundert Menschen, die Kommunarden. Jedes Mitglied der Gemeinschaft sollte in die Vaterrolle oder Mutterrolle schlüpfen, damit das Kind ja nicht nur von zwei Menschen erzogen wurde, weil es sonst geistlich beschränkt aufwachsen würde. Das war die Idee damals. Im Alter von 32 Jahren entschloss sich Paul Julien Robert, mehr über einen seiner möglichen Väter zu erfahren. Er begann sich Archiv Videomaterial von der Kommunenzeit anzuschauen. Das waren tausende Stunden, da alles in der Gemeinschaft jeden Tag filmisch dokumentiert wurde. Paul-Julien Robert sagt: "Vor 6 Jahren wollte ich mehr über meinen verstorbenen juristischen Vater erfahren. Der Beginn dieser Recherche hat mich auf eine Reise geschickt, in der ich viel über mich, den Jungen aus dem Archivmaterial, erfahren habe. In unserer Kindheit wurde jeder Tag unseres Lebens gefilmt und archiviert. Dadurch hatte ich die Möglichkeit, Vergessenes aus meiner Vergangenheit wieder zu entdecken. Diese Beschäftigung führte zu einer 4-jährigen Auseinandersetzung mit meinen Eltern und vielen anderen Kindern, mit denen ich in der Kommune aufgewachsen bin." Er merkte schnell, dass sich die alte und die junge Generation der Lebensgemeinschaft auf komplett verschiedene Weise mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen. Er entschloss sich einen größeren Film über das Thema zu drehen und so entstand "Meine keine Familie". Paul Julien Robert ist ein sehr persönlicher und authentischer Dokumentarfilm gelungen, der es trotzdem schafft eine objektive Sichtweise auf das Geschehene zu behalten. Er lässt dem Zuschauer die Freiheit sich eine eigene Vorstellung von der Kommunenzeit zu machen und nimmt einem seine eigene Meinung nicht vorweg. Ein Film über den Versuch einer neuen Gesellschaftsform, der einigen das Leben erleichtert hat, und anderen erschwert. Ein Film über die Familie, der jeden berührt, auf seine eigene Art. Durchaus sehenswert!
Geschrieben von Luis Schubert
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